Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Frage so oder so ähnlich regelmäßig in jeder guten Partnerschaft oder Familie gestellt wird. Und auch Singles werden wenn Besuch kommt, ihre Gäste sicherlich nach ihren Vorlieben bei der Speiseauswahl fragen. Die Frage (okay, dann ohne das „Schatz“) kommt auch bei Geschäftsterminen auf. Gehört ja schließlich dazu, ist fürsorglich und höflich. Die Konversation hat nun mehrere Möglichkeiten weiterzugehen:
- „Ich hätte gerne Nudeln mit Tomatensoße und Salat.“
- „Mach doch irgendwas aus dem neuen Kochbuch von Jamie Oliver, das du mir gezeigt hast.“
- „Bei meiner Mutter gab es freitags immer Pfannkuchen.“
- „Das von gestern war doch lecker.“
- „Keine Ahnung. Dir fällt schon was ein.“
- „Ich hab schon was gegessen.“
- …
Sicherlich fallen dir spontan viele weitere Antworten auf diese Frage ein. Und wie immer in meinen Artikeln geht es mir gar nicht so sehr um die Antwort, sondern vielmehr um den inneren Dialog den die Antwort auslöst.
Wer fragt, muss mit der Antwort leben können
Eins vorweg: ich stelle hier nicht die Frage an sich in Frage. Denn für mich gehört diese Frage zu einer guten Beziehung – egal ob privat oder geschäftlich – einfach dazu. Ich interessiere mich für mein Gegenüber und ich möchte, dass es ihm oder ihr gut geht. Fürsorge geht nun einmal bekanntlich durch den Magen. Ich z. B. koche sehr gerne und wenn ich meinem Partner sein Lieblingsessen koche und ich sehe wie es ihm schmeckt, geht es mir einfach gut.
Jeder dieser Antworten kann aber etwas in uns triggern (= auslösen, anstupsen), das für den weiteren Verlauf der Konversation entscheidend ist. Daher macht es Sinn, genauer hinzuschauen was das ist und warum das so ist.
- Die klare Ansage von Antwort 1 kann direktiv ankommen und Bockigkeit auslösen.
- Antwort 2 gibt zumindest eine grobe Richtung vor, nur braucht es noch einige Nachfragen um zu einer Antwort zu kommen. Das kann nerven, vor allem dann, wenn das Gegenüber auch sonst zu solchen Wischi-Waschi-Antworten neigt.
- Auch Antwort 3 kann ganz dünnes Eis sein. Warum sollte offensichtlich sein.
- Ebenso birgt Antwort 4, 5 und 6 ein gewisses Konfliktpotential.
Aber warum ist das so?
Verantwortlich dafür ist unser limbisches System.
„Es wird auch Säugetiergehirn genannt, weil dieser Gehirnteil bei allen Säugetieren, die in Gruppen leben und ihre Jungen ernähren, vorhanden ist. Es entwickelt sich größtenteils erst nach der Geburt. Dies ist der Sitz der Emotionen. Hier werden auch Gefahren registriert, es wird beurteilt, was angenehm und was beängstigend ist, und es wird darüber entschieden, was im Interesse des Überlebens wichtig und was unwichtig ist. …
Das limbische System wird unter Beteiligung der genetischen Anlagen des Kindes und seines angeborenen Temperaments in Reaktion auf Erlebtes geformt. … Alles, was ein Baby erlebt, schlägt sich in seinem emotionalen und perzeptuellen Weltbild nieder, das sein Gehirn in der Entwicklungsphase erzeugt.“ (‚Verkörperter Schrecken’, Bessel van der Kolk, Seite 71)
Was heißt das im Alltag?
Mussten wir damals Zuhause z. B. essen, was auf den Tisch kam, egal ob es uns geschmeckt hat oder nicht, kann Antwort 1 all die damals mit dem ungeliebten Essen runtergeschluckte Wut triggern.
Auch Antwort 2 kann ärgerlich machen, denn schließlich hat man ja nicht ohne Grund gefragt. Und erst recht der Vergleich mit der Mutter kann eine ganze Kaskade von Emotionen lostreten.
Denn unser limbisches System vergleicht das was wir gerade erleben, mit all dem was wir früher einmal erlebt haben. Eigentlich eine ziemlich gute Einrichtung von Mutter Natur. Nur hat die Sache zwei entscheidende Haken:
- Hat das gerade erlebte gewisse Ähnlichkeiten mit etwas damals als unangenehm erlebten, aktiviert das auch alle unangenehmen Emotionen und Empfindungen von damals gleich mit.
- Und das passiert in Bruchteilen von Sekunden.
Das funktioniert zwar auch bei angenehmen Erinnerungen, aber bevor unser Verstand (= Neokortex) überhaupt mitbekommet, was da alles für Erinnerungen im limbischen System getriggert worden sind, hat der Körper und vielleicht sogar das Mundwerk längst reagiert. Für unser Gegenüber reagieren wir völlig unlogisch. Und ernten verständnislose Blicke. Was dann zusätzlich Benzin ins Feuer gießt. Und schon sind wir mitten drin im Missverständnis-Karussell.
Im Inner-Net-Coaching erkunden wir diese alten Überkopplungen und entkoppeln sie vom heutigen Erleben. So kann das Gegenüber seine Meinung äußern und man kann gemeinsam im Hier und Jetzt eine Lösung finden ohne Gefahr zu laufen im alten Strudel zu versaufen.
Aber fast noch schlimmer als eine Antwort auf die Frage ist die Gegenfrage:
„Was möchtest DU denn gerne essen?“
Hier gibt es mindestens 3 ehrliche Antworten:
- „Ich möchte Sushi.“
- „Im Kühlschrank haben wir noch XY. Daraus könnte ich Z machen.“
- „Keine Ahnung. Daher frage ich ja dich.“
So einfach könnte die Welt sein. Zumindest wenn wir uns bewusst(er) wären, was VOR diesen eigentlichen simplen Antworten alles in unserem Hirn und in unserem Körper rumwirbelt. Auch hier kommt u. a. wieder unser limbisches System ins Spiel. Mit all seinen gespeicherten Erinnerungen und den daran gekoppelten Emotionen und Empfindungen.
Formulierung der eigenen Bedürfnisse
Und so legt die Gegenfrage den Finger in eine alte Wunde die da heißt: Formulierung der eigenen Bedürfnisse. Denn sind wir in einer Umgebung aufgewachsen, wo das Formulieren der eigenen Bedürfnisse auf wenig Gegenliebe oder Beachtung oder gar Strafe gestoßen ist, feuert unser limbisches System mit Stress, Angst und Hilflosigkeit.
Um aber „Ich möchte Sushi.“ sagen zu können muss man …
- wissen und dem Wissen vertrauen, dass man Sushi mag. Also man muss eigene Kriterien dafür haben, was einem schmeckt und was nicht. Egal was andere sagen.
- den Mut haben, Stellung zu beziehen.
- bereit sein, das Risiko einzugehen, das Bedürfnis nicht befriedigt zu bekommen.
Spätestens beim Lesen dieser 3 Punkte fällt dir wahrscheinlich auf, auf welch dünnes Eis einen diese doch so harmlos anmutende Frage „Schatz, was willst Du essen?“ führen kann.
Die gute Nachricht
Dünn kann das Eis nur werden, wenn wir den alten Erinnerungen das Ruder überlassen und die alten, kindlichen (nicht kindischen!) Emotionen ausagieren. Denn dann begegnen wir unserem Gegenüber nicht auf Augenhöhe sondern als Kind. Das kann nur schiefgehen.
Sicherer Boden ist immer das Hier und Jetzt. Nur erreicht man den nicht einfach nur durch das Verstehen der im Gehirn ablaufenden Prozessen.
Okay, schaden tut das Wissen auch nicht. Denn Verständnis für das eigene, manchmal einem selbst unlogisch erscheinende Verhalten, ist der erste Schritt in Richtung Lösung.
Um heute und in Zukunft erwachsen, angemessen und ehrlich zu reagieren, muss man die alten Trigger deaktivieren. Das limbische System muss die Möglichkeit bekommen, zusätzlich zu den alten unangenehmen Erfahrungen, ähnliche neue gute Erfahrungen machen zu können.