Dieser Satz, häufig in Verbindung mit einem kleinen Stoßseufzer in einem Moment der eigenen Hilflosigkeit gesprochen, lässt mich immer schmunzeln. Da sitzt mir ein erwachsener Mann oder eine erwachsene Frau gegenüber und ein Teil dieser Person glaubt (oder hofft darauf), dass ich es besser weiß als die Person selber. Mein Ego könnte sich hier durchaus geschmeichelt fühlen, wüsste ich nicht um die tiefere Dynamik dieser Bitte.
Anspruch, Wunsch oder Glaubenssatz?
Anspruch: Für viele fällt der Gang zum Coach in die gleiche Kategorie, wie der Gang zum Arzt: „Ich habe ein Symptom, mach es weg. Dafür bekommst du schließlich Geld.“ Der Anspruch an sich ist nicht verwerflich und auch nachvollziehbar. Nur fehlt hier ein in meinen Augen entscheidender Aspekt: die Selbstverantwortung.
Wunsch: Leidet die Seele, geht es auch dem Körper nicht gut. Und kein Mensch mag es, wenn es ihm nicht gut geht. Daher ist guter Rat ein gerne gewähltes Mittel um diesen unangenehmen Zustand schnellstmöglich wieder zu verlassen. Also fragt man jemanden, der es höchstwahrscheinlich (besser) wissen könnte. Auch gibt es Zeiten, da sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht und ein neutraler Rat kann wieder Orientierung und eine Richtung für die nächsten Schritte geben.
Glaubenssatz: Liegt ein Glaubenssatz der Frage zugrunde, wird es ein wenig komplexer. Dann beschreibt die Frage eine Art Lebensthema und bezieht sich nicht alleine auf die aktuelle Situation, wegen der man beim Coach ist. „Ich bin dumm“ impliziert, dass man die Frage eh nicht beantworten kann. „Ich bin es nicht wert“ impliziert, dass die eigene Meinung eh niemanden interessiert. Und „Ich kann das nicht alleine.“ impliziert, dass es ohne Hilfe von Außen keine Lösung gibt.
„Sag du es mir“ ist wichtig
Denn dieser Satz zeigt auf, dass mein Gegenüber in seinem Denken an eine Grenze gestoßen ist, aus welchen Gründen auch immer. Und das ist gut. Denn wie heißt der Spruch so schön: An der Grenze kommt man zur Einsicht.
Deswegen schmunzeln ich bei „Sag du es mir“, weil ich mich freue, diese Grenze erreicht zu haben. Denn ab da wird es spannend. Auch für mich. Schließlich weiß ich genauso wenig wie mein Klient, wo wir ab nun die Reise hin geht. Auch ich betrete da gedankliches Neuland und bin neugierig wo wir landen, welche Bilder, Erinnerungen, Verknüpfungen und Emotionen auftauchen.
Geteilte Wahrnehmung
Diese Grenze heißt es nun mit Hilfe einer geteilten Wahrnehmung zu erkunden. Geteilte Wahrnehmung bedeutet: Ein Teil der Aufmerksamkeit ist stets im gegenwärtigen Moment verankert, ein anderer Teil bewegt sich in den Narrativen der Vergangenheit. Neugierig und offen.
So entsteht eine Achtsamkeit für Muster, die in der Vergangenheit entstanden sind, ohne dass man dabei in die Falle tappt, die Vergangenheit wichtiger zu machen als die Gegenwart. Die Arbeit mit dem NARM-Ansatz verstärkt hier zunehmend den Kontakt mit sich selbst im gegenwärtigen Moment.
Denn aus der Gegenwart heraus auf vorhandene Muster in Sachen Kontakt/Nichtkontakt, Regulierung/Deregulierung vor dem Hintergrund ihres Anliegens zu achten, hilft Klienten, mit ihrem Gefühl, selbst aktiv Handelnde zu sein, in Berührung zu kommen. Und schon wird aus „Sag du es mir“, „Ich weiß jetzt …“.
Warum es so hilfreich ist, wenn ein Fuß im Hier und Jetzt bleibt
Geteilte Wahrnehmung bedeutet, mit einem Fuß im Hier und Jetzt zu bleiben und von da aus zu schauen.
So entsteht eine Art Pendelbewegung zwischen dem Anliegen und dem Hier und Jetzt. Was auch immer die Ursache oder des Hintergrund des Anliegens ist, kann dadurch gesehen, beobachtet, analysiert und besprochen werden ohne das die Gefahr besteht, sich im Strudel der alten Emotionen und Empfindungen zu verlieren.
Denn Fakt ist: was auch immer die Ursache war, jetzt ist sie nicht da. Mein Coaching-Zimmer ist der sichere Platz, von dem aus meine Klienten sich umschauen können.
Äußert also mein Klient die Bitte „Sag du es mir“, bin ich neugierig wie er sich in diesem Moment erlebt und was er insgesamt wahrnimmt, wenn er das sagt. Und was er oder sie gerne hören oder sehen würde. Aus der Hier-und-Jetzt-Perspektive heraus kann er dadurch beobachten und wahrnehmen, wie es ihm jetzt geht, welche Emotionen und Empfindungen jetzt auftauchen und was sich verändert, wenn er all das jetzt wahrnimmt.
Und so muss ich „es“ meinen Klienten nicht sagen, denn sie haben die Lösung bereits in sich.
Und durch Gefühl von Sicherheit gepaart mit meiner neugierigen und wertfreien Begleitung zeigt sich eine Lösung, auf die ich im Traum nicht gekommen wäre. Wie auch. Denn meine Lösung kann nur meine Lösung sein und damit nie so passend und stimmig, wie die Lösung, die ein Klient in sich selber entdeckt.