Nicht erst seit Homeoffice salonfähig geworden ist, gibt es einmal im Jahr den Tag der Jogginghose und während ich hier sitze und schreibe, rate mal was ich anhabe. Richtig. Meine Ich-muss-heute-nicht-mehr-vor-die-Tür-und-mach-es-mir-gemütlich-Jogginghose.
Denn ich kann mich einem sehr bekannten deutschen Modeschöpfer und seinem Zitat „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ nur teilweise anschließen. (Auch wenn mir gestern beim Einkaufen das ein oder andere Exemplar begegnet ist, auf das diese Aussage augenscheinlich zutrifft.) Aber darauf will ich nicht hinaus.
Jetzt bin ich Privat!
Es gibt wohl kaum ein Kleidungsstück, dass so vielschichtig und vielseitig ist, wie die Jogginghose. Die einen sitzen sie eher durch, während andere sie nahezu täglich durchschwitzen. Sie ist genauso Funktionskleidung wie Statement oder Stilmittel und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie in jedem Haushalt mindestens einmal vorhanden ist. Selbst mein Vater, der sich sein Leben lang geweigert hat Jeans zu tragen, hatte eine. Okay, er gehörte zur Durchsitz-Fraktion, aber auch für ihn war sie das nach Außen hin sichtbare Zeichen: „Jetzt bin ich Privat! Jetzt steh ich nicht mehr zur Verfügung.“
Und genau hier wiederspreche ich jenem Modeschöpfer. Denn ich bin der Meinung: Sich bewusst zu entscheiden, dass ich mich jetzt der Welt entziehe indem ich mir etwas anziehe, was ich so „da draußen“ nie anziehen würde, hat für mich mit jeder Menge Kontrolle über das eigene Leben zu tun.
Allzeit bereit vs. bin nicht mehr verfügbar
Von der einen Rolle, die wir den Tag über ausfüllen in die nächste zu schlüpfen, kann in vielerlei Formen passieren. Die einfachste und offensichtlichste ist der Wechsel der Kleidung. Die einen ziehen Abends den Schlips oder den BH aus, legen die Uhr ab oder tauschen Pumps gegen Schlappen. Aber ein bisschen bleibt man doch noch drin in der Rolle. Es macht einfach einen Unterschied, ob man noch die Jeans und Hemd/Bluse an hat, wenn ein Freund spontan fragt, ob man noch kurz was mit trinken geht oder ob man bereits zu Jogginghose, Lieblingspullover und dicken Socken übergegangen ist.
Ab jetzt Ich!
Auch wenn für dich der Wechsel der Kleidung bereits zum Nach-Hause-komm-Ritual gehört, kann ein sehr bewusster Umgang damit einen großen Unterschied machen. Das Ausziehen der Tages-/Rollenkleidung bewusst Teil für Teil zu tun und sich so Stück für Stück vom Tag zu verabschieden, entspannt und erdet.
Mein Tipp:
Achtsam und langsam die Tageshülle abstreifen und dabei bewusst auf Empfindungen, Emotionen und Gedanken achten, macht aus dieser so alltäglichen Tätigkeit ein Fest für die Sinne. Kleine Pausen vertiefen das Erleben zusätzlich.
Bereits nach ein paar Wiederholungen wirst du merken, wie tiefenentspannend dieses bewusste Wahrnehmen vor allem der Empfindungen ist. Denn in dem Teil unseres Gehirns, der dafür zuständig ist, wird auch der Großteil unseres Stressempfindens produziert. Daher legst du durch das bewusste Ablegen der Alltagskleidung auch einen Teil des Alltagsstress gleich mit ab.