Sicherlich kennst du in deinem Umfeld mehr als eine Person, die dir wie aus der Pistole geschossen sagen kann, was sie oder er alles nicht will. Aber auf die Frage, was er oder sie denn stattdessen will, recht still wird. Und genauso sicherlich kennst du das auch von dir selber. Plus all die zumeist nicht netten Gedanken und Empfindungen rund um dieses Nicht-Wissen.
Sätze, wie „Du musst doch wissen, was Du willst!“ schütten dann noch zusätzlich Benzin ins Feuer. Denn als wenn dieses Nicht-Wissen nicht schon doof genug wäre, suggeriert einem das Gegenüber damit zwei Sachen:
- dass man gerade versagt und dass man
- an etwas Selbstverständlichem versagt.
Beides ist in meinen Augen falsch.
Wie man das Wollen verlernt
Ein Satz, der meine Kindheit geprägt hat, war „Du willst nicht, Du möchtest!“ Für mich als Kind war damit klar: (mein) Wollen ist falsch. Denn sonst hätten mich meine Eltern ja nicht ermahnt. Nur war mir nicht klar, warum sie mich ermahnt haben. Schließlich hatte der Anblick des Eisverkäufers eine ganze Kaskade positiver Emotionen und Empfindungen plus Vorfreude in mir ausgelöst, die in meinem „Ich will ein Eis“-Satz ihren Höhepunkt fand. „Du willst nicht, Du möchtest!“ wirkte auf die Kaskade wie eine kalte Dusche.
Was komplett ausblieb, war die Erklärung, warum meine Eltern mein Wollen derart relativierten. Dass es nicht mein Wollen an sich war, sondern die Formulierung, die sie störte, habe ich erst im Erwachsenenalter von meiner Mutter erfahren. Da mir diese Erklärung und Differenzierung fehlte, verknüpfte ich in meinem Kinderhirn die von mir als gut und angenehm empfundene Kaskade mit der Ermahnung – und hörte auf zu Wollen. (Und das Eis schmeckte lange Zeit auch nicht mehr.)
Wollen (wieder) lernen
Ich lade dich anhand dieses kleinen persönlichen Beispiels ein, einmal den Blick zurück zu werfen und zu überlegen, wie deinem Wollen begegnet wurde. Um dann den Bogen zu spannen und zu schauen, wie du heute deinem Wollen begegnest. Darfst du heute Wollen? Oder mischt sich da noch was anderes mit rein? Etwas, dass relativiert, in Frage stellt und abschwächt? Und vielleicht sogar aus anfänglichem Wollen, Nicht-Wollen macht?
Dann willkommen im Club, denn jeder von uns hat in unterschiedlichem Maß und unterschiedlicher Art diese Ermahnungen erfahren.
Das ist an sich weder gut noch schlecht, sondern nennt man schlicht Erziehung. Denn ein Kind, dass Eis will, rennt an der Schlange der ebenfalls Eis wollenden vorbei und fordert sein Eis. Hinten anstellen? Warten? Bezahlen? Fehlanzeige, denn das versteht und kann ein Kind nicht. Das muss es lernen. Die Frage ist nur wie es das lernt. Denn das prägt, wie wir auch später unser Wollen äußern.
Nicht-Wollen ist leichter als Wollen
Da mir das Eis ja nicht mehr geschmeckt hat, wollte ich irgendwann auch kein Eis mehr. Nur lag das nicht am Eis, sondern an der Reaktion meiner Eltern. Durch mein Eh-kein-Eis-mehr-Wollen schützte ich mich vor einer erneuten kalten Dusche. Ich erstickte also die positive Kaskade aus angenehmen Emotionen und Empfindungen beim Anblick eines Eisverkäufers mit meinem „Eis schmeckt eh nicht“ im Keim.
Zwar erspart man sich dadurch jede Menge Kalorien, aber eben auch jede Menge Optionen. Und so weiß man später ziemlich genau, was man nicht will. Nur für das was man will, fehlen einem schlicht die Kriterien. Denn die wurden damals mit der kalten Dusche gleich mit weggespült.
Ich weiß wieder, was ich will
Aber dank der Plastizität unseres Gehirns sind sie eben doch nicht auf Nimmerwiedersehen weggespült. Vielmehr kann man durch einen einfachen Trick zu einem erwachsenen „Ich möchte nicht, ich will!“ zurückfinden. Erwachsen bedeutet, dass ich mich den Eisverkäufer klar im Visier hinten in den Schlange anstelle während meine Kaskade aus Emotionen und Empfindungen da sein darf (so was nennt man übrigens auch Vorfreude) um mich nach dem Bezahlen für meine Geduld zu belohnen.
Und dieser einfach Trick ist die Frage:
„Und wenn ich es doch will?“
Macht sich nach diesem Satz in dir so etwas wie Neugier breit, hälst du bereits einen Zipfel der alten Kaskade in den heute nicht mehr kleinen Händen. Und gesellt sich dann noch ein bisschen Trotz dazu, bist du dabei, dir dein „Ich will!“ zurückzuerobern.
Je nachdem wie viele Steine deinem Wollen in den Weg gelegt worden sind, kann es sein, dass du diese Frage am Anfang öfter wiederholen musst. Und es kann auch sein, dass der Zweifler in dir zunächst scheinbar gewinnt.
Trotzdem rüttelt diese Frage an deinem alten Gedankenmuster und das bleibt nicht ohne Wirkung. Hinzu kommt, dass diese Kombination aus Neugier und Trotz richtig Laune macht.