Kopf hoch … Halt Dich gerade. Wie du diese einst ungeliebten Ermahnung heute für dich nutzen kannst

Den Spruch „Kopf hoch!“ kennst du sicherlich eher als hilflose Auf- oder Ermunterung in schwierigen Zeiten. „Halt Dich gerade!“ hat der ein oder andere zu seinem Leidwesen sehr wahrscheinlich mehr als einmal von den Eltern zu hören bekommen. Und so lösen beide Sätze in uns eher Widerstand und das Befolgen einen Seufzer aus. Was schade ist, denn eine gerade, aufgerichtete Wirbelsäule kann deutlich mehr als nur gut aussehen und Rückenschmerzen vermeiden.

Dass das Rückenmark eine der Datenautobahnen im Körper ist, ist hinlänglich bekannt. Und welche teilweise lebenslangen Konsequenzen eine Verletzung dieser Datenautobahn haben kann, weiß auch jeder. Und das nicht erst seit dem Unfall des Superman-Darstellers Christopher Reeve oder von Samuel Koch bei „Wetten, dass…?“

Was viele aber (noch) nicht wissen ist, welche Auswirkungen bereits eine so kleine Unterbrechung wie z. B. ein leicht schief gelegter Kopf auf unsere Wahrnehmung und Informationsverarbeitung hat.

Wie ein Knick im Gartenschlauch

Erinnerst du dich noch an den Kinderstreich mit dem heimlichen Knick im Gartenschlauch? Und den Spaß, wenn der andere erst verdutzt in die müde tropfende Öffnung guckt, um Sekunden später klatschnass Jagd auf den wahren Übeltäter der Wasserarmut zu machen?

Dann stell dir jetzt dein Rückenmark vor wie diesen Gartenschlauch durch den Wasser fließt. Auch bei unserer interne Datenautobahn hat jeder Knick Einfluss auf die Menge, die durchfließt und hinten bzw. oben im Gehirn raus kommt – oder eben nicht.

Barack Obama tut’s. Charlène von Monaco tut’s auch.

Ist dir aufgefallen, dass Barack Obama wenn er über ein emotional schwieriges Thema redet, sein Kinn leicht nach vorne schiebt? Oder dass Charlène von Monaco ihren Kopf fast immer leicht schräg hält, wenn das Blitzlichtgewitter los geht. Was gerade bei Frauen gerne als kokett bezeichnet wird, ist im Ursprung ein Selbstregulierungstrick, den Mutter Natur uns mit auf den Weg gegeben hat. Und der ist so hinderlich wie genial.

Hinderlich, weil dieser Knick zumeist unbewusst passiert und man sich dadurch selber von einer Vielzahl an Informationen abschneidet. Genial, weil man schließlich nicht jedes Mal weglaufen kann, wenn eine Situation einem zu viel wird. Ein leichter Knick im „Gartenschlauch“ genügt und schon wird die Situation als nicht mehr ganz so überwältigend erlebt.

Wie funktioniert das?

Unser gesamter Körper sammelt permanent Informationen über alles mögliche im Innen und Außen. All diese Informationen werden ebenfalls permanent von unserem Gehirn be- und verarbeitet. Nur bekommen wir davon nicht immer bewusst etwas mit. Was unser Magen- und Darmtrakt z. B. gerade mit der letzten Mahlzeit macht, findet eher im Verborgenen statt. Genauso wie viele andere Körperfunktionen. Läuft hier alles wie am Schnürchen, fühlen wir uns gut und entspannt, die Muskeln sind locker und die Atmung kann fließen.

Klingelt dann z. B. das Telefon und das Gehörte versetzt uns in Alarmbereitschaft, ist Schluss mit der inneren Gemütlichkeit. Zu all den Informationen die unser Körper ans Gehirn sendet, kommen jetzt noch Informationen vom Gehirn an den Körper, die als Reaktion wieder Informationen ans Gehirn senden usw.

Am Bild des Gartenschlauchs verdeutlicht: Der Druck im Schlauch steigt, das Ventil hält dem nicht Stand und rutscht ab und das ungehindert ausströmende Wasser überflutet das Rosenbeet. Die einzige Chance: schnell einen Knick in den Schlauch machen bis man den Wasserhahn zugedreht hat oder das Ventil wieder auf den Schlauch gefummelt hat, um eine Überflutung zu verhindern.

Wie kannst du diesen Trick bewusst für dich nutzen?

Beobachte im ersten Schritt die Menschen in deiner Umgebung in der nächsten Zeit, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wer warum wann wo und wie einen Knick in seine interne Datenautobahn macht.

  • Was war kurz vorher?
  • Was ist dir aufgefallen?
  • Und wie lange dauert es, bis dein Gegenüber sich wieder gerade richtet?

Schule so deine Wahrnehmung. Du wirst überrascht sein, wie oft scheinbar entspannte, souveräne Menschen diese Form der Selbstregulierung (zumeist unbewusst und unwissend) anwenden.

Da du jetzt weißt, dass dein Gegenüber in solchen Momenten versucht mit einem zu viel an Informationen klar zu kommen, kannst du dein eigenes Tempo besser auf dein Gegenüber einstellen und bewusst den Fuß vom Gas nehmen. Richtet sich der andere wieder gerade, kannst du wieder mehr Tempo machen. Verdreht er sich hingegen noch mehr und richtet sich sogar in Richtung Tür aus (= Fluchtimpulse) solltest du an deiner Strategie dringend etwas ändern.

Im zweiten Schritt schulst du deine Selbstwahrnehmung

Hierzu zwei kleine Übung zum Aufwärmen, die du vielleicht schon aus anderen Kontexten kennst:

  1. Stell dich entspannt hin ohne die Knie durchzudrücken. Spüre, wie deine Wirbelsäule gut aufgerichtet ist und sich scheinbar wie von selber trägt. Richte den Blick nach vorne und sage laut: „Ich kann das! Und ich will das!“ Nimm dir dann Zeit, die Wirkung zu spüren.
  2. Kippe jetzt das Becken leicht nach vorne, lass die Schultern hängen und neige den Kopf zu einer Seite. Sag jetzt wieder: „Ich kann das! Und ich will das!“ Nimm dir auch jetzt einen Moment Zeit, die Wirkung zu spüren.

Ich denke, es hat dich nicht überrascht, dass die Aussage in der 2. Runde deutlich an Glaubwürdigkeit und Ausdruckskraft verloren hat.

Nutze diese Erfahrung und überprüfe in den unterschiedlichsten Alltagssituationen wie gerade deine Wirbelsäule jeweils ist. Wenn du irgendwo einen Knick bemerkst, richte  ihn bewusst gerade ohne dich dafür zu verurteilen (!) – und beobachte, welche Auswirkungen diese Veränderung hat.

Genauso kannst du bewusst einen Knick machen und auch hier beobachten, was sich dadurch verändert. Und zwar nicht allein bei dir, sondern auch bei deinem Gegenüber. Denn auch wenn dein Gegenüber diesen Selbstregulierungstrick nicht bewusst kennt, unbewusst wird er auf dich reagieren.

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