Über folgendes Zitat Nelson Mandelas bin ich heute morgen gestolpert: „Als ich aus der Tür hinaustrat in Richtung des Tores, das mich in meine Freiheit führen sollte, wusste ich, wenn ich meine Bitterkeit und meinen Hass nicht zurückließe, bliebe ich im Gefängnis.“ Mich haben diese Worte in vielerlei Hinsicht nachdenklich gemacht.
Zum einen ziehe ich wieder einmal den Hut vor Nelson Mandela, der in diesem Moment zu diesem Gedanken fähig war. Zum anderen kann man aus seinem Zitat für sich selber die folgende Frage ableiten:
Was muss ich zurücklassen, um frei zu sein?
Ist uns Unrecht widerfahren, ist es eine natürliche Reaktion zu hadern. Der Gerechtigkeitssinn läuft Sturm und auch der ein oder andere Rachegedanke schießt durchs Hirn. Für eine Weile ist dieses (innere) Aufbegehren richtig – und auch wichtig.
Schließlich ist man wütend, vielleicht sogar stinkwütend. Und schaut man sich das Wort „wütend“ an, steckt da „wüten“ drin, also ein Tu-Wort. Nur tun die wenigstens Menschen in so einer Situation etwas mit all der Energie, die Wut nun einmal in uns in Bewegung setzt.
Vielmehr wird diese Energie, aus welchen Gründen auch immer, gedeckelt, verdrängt, relativiert, was auch immer (= acting in). Darf diese Energie aber nicht fließen, bleibt sie in uns stecken – und wird zu Bitterkeit und Hass. Zu Wüten (= acting out) schafft zwar Entlastung, aber zumeist nur kurzfristig. Fast immer kehren die unschönen Empfindungen zurück und man steht wieder vor der Entscheidung: acting in oder acting out?
Mein Tipp: Weder noch
Sondern: Lass Impulse, Emotionen und Empfindungen da sein und beoachte, wie sie sich in Wellen aufbauen und auch wieder abebben. Ohne Wertung und ohne an einer Emotion oder Empfindung hängen zu bleiben.
Ja, ich weiß, das klingt einfacher als es ist. Denn Bitterkeit, Ärger und selbst der kleinere Ableger, die Enttäuschung machen etwas in und mit uns. Sie alle bringen uns mit unserer Hilflosigkeit und Angst in Kontakt, rauben uns Illusionen und verwandeln unsere Welt in einen garstigen Ort an dem wir eigentlich nicht sein und schon garnicht bleiben wollen.
Aber: auch diese Facetten gehört zum Leben nun einmal dazu. Und so ist die Frage nicht, warum passiert das mir oder wer ist der Schuldige, sondern vielmehr: wie gehe ich damit um? Oder um noch präziser zu sein:
Wie will ich damit umgehen?
Indem man hadert und nach Schuldigen sucht, bleibt man „im Gefängnis“ und übersieht die eigentlich längst offene Tür in die Freiheit. Vielmehr wiederholt man die zugrundeliegende Ursache immer und immer wieder – nur diesmal ist man gegen sich selbst der Täter. Und immer und immer wieder erlaubt man dem wahren Verursacher weiterhin im eigenen Leben zu wirken und Macht auszuüben.
An Zorn festhalten ist wie Gift trinken und erwarten,
dass der Andere dadurch stirbt. – Buddha
Auch wenn das jetzt ein wenig paradox klingt, an Zorn festzuhalten ist leichter, als ihn loszulassen. Er kostet zwar Kraft und die Lippen sagen, dass sie ihn loslassen wollen, doch das Herz scheut sich diese letzte Verbindung zu kappen. Denn wenn ich nicht einmal mehr böse auf den Verursacher bin, was bleibt mir dann?
Nelson Mandela hat sich bewusst dagegen entschieden, als verbitterter alter Mann durch dieses Tor zu gehen. Und ich bin mir sicher, dass er diese Entscheidung nicht nur einmal getroffen hat – sondern immer und immer wieder, bei jeder Erinnerung und jedem Rückschritt. Und dass Hass viele Male leichter gewesen wäre.
Zwischen welchen zwei Türen stehst du? Was solltest du zurücklassen, um das Gefängnis einer alten Verbindung zu verlassen und (endlich) frei zu sein?