Podcast #4: Zu schnell – zu viel – in zu wenig Zeit

Und hier das Transkript

In Podcast Nr. 3 habe ich das Bild eines Flusses benutzt um zu verdeutlichen, dass ungelöstes Trauma unseren Lebensfluss, unseren Flow einengt und sogar blockieren kann. Heute geht es um die Frage: Wie macht ein Trauma das? Wie wirft es uns dieses Zeug in unseren Lebensfluss und warum bleibt einiges davon mitten drin liegen, anderes gammelt mehr so am Ufer vor sich hin und wieder anderes wird einfach weiter transportiert?

Ich spoiler grad mal ein bisschen. Denn ich werde diese Fragen nicht alle in diesem einen Podcast beantworten können. Dafür ist das, was in uns passiert, viel zu komplex und machmal auch aufwühlend. Es braucht Zeit, hier einzutauchen. Daher mache ich langsam und liefere dir immer wieder kleine, gut verdauliche Häppchen. Aber ich bin mir dennoch sicher, dass du am Ende vom Podcast das ein oder andere Aha-Erlebnis hattest.

Ein bisschen Neurobiologie

Also legen wir los. Und lass uns hierzu einen kleinen Ausflug in die Neurobiologie machen. Denn nicht das traumatische Erlebnis macht das, sondern es ist unser Körper selbst. Peter Levine, der Begründer von Somatic Experiencing fasst dieses Phänomen sehr klar zusammen:

„Trauma ist nicht im Ereignis. Trauma ist im Körper.“

Gleich mal die gute Nachricht hierzu vorab: durch Neuroaffektiven Traumatherapie, also Somatic Experiencing und NARM (Das Neuroaffektive Relationale Modell) kann man es auch wieder sanft aus dem Körper entlassen. Aber dafür muss man erst einmal verstehen, wie es überhaupt in den Körper kommt und dann da über Jahre hinweg bleibt.

Drei weichenstellenden Kriterien

Damit ein Ereignis traumatisch werden kann, müssen ein paar Dinge zusammenkommen. Erst einmal müssen die Drei weichenstellenden Kriterien erfüllt sein:

Zu schnell – zu viel – in zu wenig Zeit

Das ist die Traumadefintion mit der ich arbeite. Und die mag ich gerade ein bisschen mehr in der Tiefe erklären. Denn auf den ersten Blick erscheint „zu schnell“ und „zu wenig Zeit“ ja das gleiche zu sein. Ist es aber nicht und es ist wichtig diese Unterscheidung zu machen.

Zu schnell bedeutet, das Ereignis kommt überraschend. Ein Unfall, ein Sturz oder ähnliches meldet sich ja nicht bei uns an. Es passiert uns einfach. Grad war noch alles okay und im nächsten Moment liegen wir im Graben.

Zu viel bedeutet, das was passiert, überwältigt unser System mit zu vielen Informationen gleichzeitig. Und hier fasse ich die Punkte “zu viel” … “in zu wenig Zeit” anhand von einem Beispiel zusammen.

Ein Beispiel

Stürzen wir bei einem Fahrradunfall, wirken im Bruchteil einer Sekunde unzählige Kräfte gleichzeitig auf uns. Waren wir gerade noch vielleicht Podcasthörend in der Senkrechten unterwegs, kuggeln wir plötzlich in der Waagerechten. Alleine dieser plötzliche und unerwartete Positionswechsel überfordert unser Gehirn durch die Fülle der widersprüchlichen Informationen, die unser Körper nach oben schickt.

Kleiner, aber wichtiger Einschub: Das ist übrigens auch der Grund, warum es so sinnvoll ist, stürzen zu üben. Denn wenn unser Gehirn die Chance bekommt, einen Sturz langsam, bewusst und kontrolliert zu erfahren, stresst eine schnellere, unkontrollierte Abfolge deutlich weniger. Unser Gehirn und Nervensystem weiß dann schon so ungefähr, was da passiert und schaltet nicht sofort in den Notfallmodus.

Tipp an alle Eltern

Daher kleiner Tipp an alle Eltern: übt mit eueren Kindern in Slowmotion zu stürzen. Je langsamer, je kontrollierter, je sicherer ihr das macht, um so mehr Spaß macht es allen Beteiligten. Bei den ersten Runden wird es noch sehr still und konzentriert zugehen, aber mit jeder weiteren Runde wird es lockerer … und damit kreativer … und lustiger. Dann macht es Spaß und meistens kommt dann sogar ein bisschen Drama hinzu. Und das ist gut so, denn dann fühlt sich das System sicher genug ein wenig zu übertreiben.

Aber das ist dann auch das Zeichen, dass es für heute genug ist. Dann solltet ihr aufhören denn sonst besteht die Gefahr, dass es zuviel wird und dann wären all die schönen Stürze vorher für die Katz. Also: stürzen üben ja, gerne … ein bisschen Drama auch okay. Und dann gilt auch hier: wenn es am schönsten ist, aufhören.

Zurück zum Beispiel vom Fahrradsturz

Aber nun zurück zum Fahrradsturz, denn hier kommen im Moment des Unfalls noch ein paar Zutaten hinzu.

Und zwar zunächst der körperliche Schmerz. Hier kann das Spektrum vom blauen Fleck mit ein paar Abschürfungen bis hin zu Knochenbrüchen und Amnesie gehen. All das passiert wie gesagt in Bruchteilen von Sekunden alles gleichzeitig. Und auf dieses „gleichzeitig“ bezieht sich das „in zu wenig Zeit“ in der Traumadefintion. Jeder einzelne Aspekt kommt ja schon zu schnell und ist in sich zu viel. Aber in dieser Gleichzeitigkeit haben wir keine Zeit irgend etwas davon auch nur im Ansatz zu verstoffwechseln.

Vorbei! Oder doch nicht?

Vielleicht fällt dir auf, dass das Ereignis an sich nun vorbei ist. Wir liegen still, kugeln nicht mehr rum und das Ausmaß des körperlichen Schmerzes wird uns schmerzlich bewusst.  

Was aber viele nicht wissen: es ist nie der Sturz alleine, der darüber entscheidet, ob es ein traumatisches Erlebnis, vielleicht sogar mit Traumafolgestörungen wird. Die Zeit danach ist genauso entscheidend.

Bevor ich hier tiefer einsteige, nimm dir bitte einen Moment Zeit … atme … schau dich ein wenig dort um wo du gerade bist … atme noch einmal … langsam und bewusst … und spür mal ein dich rein. … Am besten weiteratmend …

Wie geht es dir gerade?

Ich frage gerade an dieser Stelle nach, denn Trauma hat einen sogenannten Sog. Es zieht uns rein und will uns immer tiefer reinziehen … wenn wir selber unerlöstes Trauma in uns tragen. Und da wir alle in unserem Leben schon mindestens einmal vom Fahrrad gefallen sind, wäre es also nicht verwunderlich, wenn meine Beschreibungen dein Nervensystem ein wenig aktiviert hat. Daher nimm dir gerade einen Moment … und spür nach wie es deiner Atmung gerade geht. … Wie gut kannst du atmen? Kann dein Atem fließen oder machst du gerade das, was ich „Kehlkopfatmung“ nenne?

Nimm einfach nur wahr. Und solltest du ein … zu viel … in dir wahrnehmen, mach eine Pause und hör den Podcast ein anderes Mal zu Ende. Er läuft dir ja nicht weg und du verpasst auch nichts, wenn du jetzt aufhörst. Ganz im Gegenteil: dein Nervensystem lernt dadurch, dass es heute eine Wahl hat. Heute musst du … „da“ … nicht mehr durch. Heute kannst du die Stopptaste drücken.

Und sollte dir die Erwähnung der Stopptaste gerade einen Seufzer entlockt habe, … gut … Dann konnte dein Nervensystem schon ein bisschen alte Ladung entlassen.

In der Neuroaffektiven Traumatherapie …

… helfen wir dem System genau in solchen Momenten zu erleben, dass es vorbei ist … dass wir heute sicher sind … dass wir heute die Wahl haben. Wie das funktioniert und warum es funktioniert, dazu werde ich noch eigene Podcasts und auch Videos machen, denn genau das ist das Wissen, das das Potential hat die Welt zu verändern.

Warum die Zeit nach einem Unfall so entscheidend ist, darauf steige ich im nächsten Podcast tiefer ein. Denn danach wird es komplex. Und das hat es verdient, Zeit zu bekommen.

Entscheidend ist WIE es weitergeht

Aber für jetzt mag ich schon verraten: das entscheidende ist … WIE … es weitergeht. Bleiben wir in dem Zustand des … zu schnell … zu viel … in zu wenig Zeit … oder kehrt danach … – natürlich im Rahmen der Möglichkeiten – … ein wenig Ruhe und Struktur ein?

Am Beispiel des Unfalls erklärt:

Während wir da liegen, ist unsere Umgebung ja ebenfalls im Schock, denn alle, die den Unfall beobachtet oder verschuldet haben, haben ja ebenfalls etwas … zu schnell … zu viel … in zu wenig Zeit erlebt. Also sind alle zunächst überfordert und gestresst. Wird es dann hektisch … unübersichtlich … und laut … vielleicht weil Streit ausbricht (auch eine typische Folge und auch dazu in einem anderen Podcast mehr), liegen wir da und die Überforderung geht weiter.

Sie kann auch durch übereifrige Ersthelfer … ruppige Sanitäter … oder eine überforderte Notaufnahme im Krankenhaus weitergehen.

Daher ist eins in solchen Momenten so alles entscheidend:

Dem … zu schnell … zu viel … in zu wenig Zeit … ein laaaaaaangsam und wenig entgegenzusetzen!

Wenn sich ein Mensch zu dem oder der Verunfallten auf den Boden setzt … den eigenen Namen nennt … und in einfachen, ruhigen Worten erklärt was gerade passiert, können die anderen gestresst wuseln und doch kehrt am Boden Ruhe ein.

So einfache Worte wie … “Sie hatten einen Unfall mit ihrem Fahrrad … der Krankenwagen ist schon informiert … ich bleibe so lange bei ihnen und erklär ihnen, was so alles pasiert … mein Name ist XY … verraten sie mir ihren Namen …? Ah, ich höre schon den Krankenwagen … Ja, da ist er … er parkt da drüben und jetzt kommen Zwei Sanitäter auf uns zu …”

Allein durch diese einfache und ruhige Beschreibung der gerade stattfindenden Dinge kann sich der Verunfallte entspannen. Er oder sie muss sich nicht kümmern, bekommt doch alles mit und ein Stück Orientierung kann zurückkommen. Das funktioniert übrigens auch wenn jemand bewusstlos ist.

Haben wir hingegen nicht die Chance, dem … zu schnell … zu viel … in zu wenig Zeit … ein laaaaaaangsam und wenig entgegenzusetzen und dadurch wieder ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle zu erlangen, bleibt unser System im Alarmzustand. Wir bleiben gefangen in diesem Moment und ein dicker Brocken liegt nun in unserem Flussbett – um nochmal zum Ausgangbild zurückzukommen.

Unser Flow, denn wir eben noch gesund und munter auf unserem Fahrrad erlebt haben, wurde jäh beendet. Wir wurde rausgerissen und unser Fluss ist nicht mehr derselbe. Wir sind nicht mehr dieselben. Wir bleiben ge- und verstört zurück.

Die gute Nachricht:

Trauma gehört zum Leben dazu. Und Traumabewältigung auch. Die Natur hat uns mit allem ausgestattet, was wir zur Bewältigung der Überwältigung brauchen.

Unsere Serienausstattung hat hier jede Menge zu bieten und daher ist Trauma kein Schicksal mit dem wir irgendwann mal in die Grube steigen müssen. Ganz im Gegenteil: Die in der Traumabewältigung serienmäßig eingebaute Weisheit zu schöpfen, ist ein Geschenk und – da spreche ich aus eigener Erfahrung – DIE Chance für persönliches Wachstum.

Wie geht es dir jetzt?

Bevor ich den Podcast für jetzt beende, lade ich dich noch einmal ein in dich hineinzuhorchen. Spitz mal deine Ohren nach Innen und lausche, was dein Körper dir gerade flüstert. Bist du aufgewühlt? Ist da irgendwas angestubst worden? Oder ist da … nix? Vielleicht sogar ein bisschen dumpf und neblig? All das kann … muss aber nicht … ein Anzeichen sein, dass du unerlöstes Trauma in dir trägst. Dann macht es Sinn hier ein wenig weiterzuforschen. Lesetipps dazu, wo du mit deiner Forschungsreise anfangen kannst, findest du auf meiner Homepage unter dem Reiter „Lesenswertes“.

Vielleicht ist da ja auch einfach nur Neugier und das Thema der Neuroaffektiven Welt fängt an dich zu faszinieren, dann wäre jetzt eine gute Gelegenheit meinen Podcastkanal zu abonnieren. Und wenn dir gefällt, was du hier hörst, würde ich mich freuen, wenn du anderen davon erzählen würdest und wir so gemeinsam dazu beitrage, dass es mehr Trauma Informierte Menschen in der Welt gibt.

Aber egal, was gerade in dir los ist, gönn dir jetzt ein paar Minuten Stille. Denn es war viel was du gerade gehört hast. Und wir wollen ja nicht, dass es zu viel wird. Oder?

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