Wie nah darf ich kommen?

Travel & Work

Meinen ersten trauma informierten Podcast möchte ich damit starten, dass ich mich grad freue. Worüber? Nun, meine Homepage hat Zuwachs bekommen: Gerade eben ist meine neue Seite „Travel & Work“ online gegangen.

Ich habe lange überlegt, wie ich das einbette – und ob überhaupt. Mit dem Wohnmobil unterwegs zu sein, dabei zu arbeiten und dann darüber zu schreiben … Wen interessiert das schon? Und außerdem gibt’s das im Netz schon unzählige Male. Und überhaupt ist das ja eigentlich mein Privatvergnügen.

Ja, es gibt bereits viele Blogs rund um das Thema Travel & Work. Manche sind eher technisch orientiert, manche sind wie Reisetagebücher geschrieben und wieder andere bauen – so wie ich – die Brücke zwischen persönlichen Erlebnissen on the road und dem Leben ihrer Follower Zuhause.

Ich baue diese Brücke Trauma Informiert. Denn mir ist in meiner Zeit On The Road klar geworden: Die Auswirkungen von persönlichem und transgenerationalem Trauma sind allgegenwärtig und Teil unser aller Alltag. Die Auswirkungen sind sichtbar und vor allem spürbar. Und so nutze ich scheinbar kleine, normale Alltagssituationen um etwas sichtbar zu machen, was Dr. Ansgar Rougemont-Bücking in seinem Buch „Das Zeitalter der Vampire“ phantastisch beschreibt:

„Durch individuelles und transgenerationales Trauma haben wir die Bindung zu uns selbst und zur Außenwelt verloren. Diese Entfremdung führt dazu, dass wir uns immer schwerer tun, mit den kleinen und großen Herausforderungen unserer Zeit umzugehen.“

Und hier kommt etwas ganz Entscheidendes mit ins Spiel:

Unwissenheit

Denn wir lernen nicht woran wir eine mögliche Traumatisierung in uns oder im anderen erkennen können und welche Auswirkungen ein Trauma auf unser alltägliches Leben haben kann. Dabei sollte das in meinen Augen Teil der Allgemeinbildung sein. Und darum habe ich auch diesen Podcast gestartet.

Wir sehen nur das merkwürdige, scheinbar irrationale und uns störende Verhalten des Gegenübers und haben keine Ahnung davon, was hier wirklich gerade am Start ist. Daher können wir als Gegenüber dann auch nicht angemessen reagieren. Hier sind Missverständnisse vorprogrammiert.

Gleich mal ein Beispiel dazu, dass genau jetzt wo ich schreibe gleich links neben mir passiert.

Wie nah darf ich kommen?

Auf dem Campingplatz wo wir aktuell sind, sind die Parzellen riesengroß. Wir haben eine wunderbar ruhige Ecke und durch einen Weg keine direkten Nachbarn. Auf dem links an uns angrenzenden Stellplatz ist gerade eine Familie mit Zwei Kindern angekommen. Und sie haben ganz an der seitlichen Kante ihres Stellplatzes geparkt. Zur unserer Seite hin ist also Platz ohne Ende. Soweit so gut. Zumindest für uns. Denn ihre Nachbarn auf der anderen Seite haben dasselbe getan und nun stehen beide dicht an dicht an der Grenze. Die Blicke waren erst irgendwas zwischen irritiert und fassungslos. Jetzt bin grad froh, dass Blicke nicht töten können.

Wo ist das Problem?

Die einen merken es nicht und die anderen sagen es nicht: die Neuen sind zu nah gekommen. Rein Faktisch ist alles korrekt. Beide stehen innerhalb ihres Raumes. Und doch …

Ich kann von meinem Platz aus sehen, wie die Familie, die zuerst da war, in ihrem Vorzelt sitzt, sich aufregt und nicht versteht, warum die anderen nix merken. Und anstelle hinzugehen und was zu sagen, beobachten sie böse schauend, wie die neue Familie sich einrichtet. Und breit macht. Und nun ist es zu spät. Tisch und Stühle sind draußen und gerade wird der Grill aufgebaut.

Was hat das mit Trauma zu tun?

Trauma ist immer eine Grenzverletzung. Irgendetwas oder irgendwer hat unsere natürliche Grenze ungut überschritten. Das kann ein Autounfall gewesen sein, ein Sturz oder eine Operation. Aber auch scheinbar alltägliche Grenzverletzungen wie vordrängeln, ohne Klopfen einen Raum betreten oder einen nicht ausreden lassen, hinterlassen ihre Spuren. Nicht wenn es einmal passiert. Aber wenn wir z. B. als Kinder gemobbt wurden, die Eltern unsere geschlossene Zimmertür nicht respektiert haben oder es damals niemanden interessiert hat, was wir zu erzählen haben, triggern uns heute solche Begebenheiten.

Und das bedeutet, dass wir zumeist unbewusst so reagieren, wie wir damals reagiert haben. Nämlich sprachlos und starr. Hoffend, dass der andere merkt, was bei uns los ist. Innerlich wütend, weil der andere nicht merkt, was bei uns los ist.

Wiederholt sich das, stumpfen wir mit der Zeit ab. Wir verlieren unser Gespür für gesunde, stimmige Grenzen. Wir haben resigniert und auch wenn es sich nicht gut anfühlt, meinen wir, so sei es halt. 

Wir verlieren Doppelt: auf der einen Seite verlieren wir unsere Kapazität für einen gesunden Umgang mit Grenzen und auf der anderen Seite verlieren wir den Mut, den Mund aufzumachen und Grenzen einzufordern. Ist ja eh sinnlos.

Und dann sitz man Jahre später auf einem Campingplatz in Norddeutschland und merkt nix oder sagt nix.

Wie gehst du mit solchen Grenzverletzungen heute um?

Wie reagierst du, wenn dir jemand ungefragt zu nah kommt? Und hast du eine Idee, warum das so ist, wie es bei dir ist?

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