Warum tief atmen manchmal keine gute Idee ist

Ich mag mich heute mal ein bisschen mit dem Thema tief atmen beschäftigen.

Denn mit Sicherheit hast du auch schon öfters mal diesen Tipp bekommen, nimm einen tiefen Atemzug, um dich zu beruhigen. Für Menschen, die keine Traumaspuren in ihrem System haben, ist das ein guter Tipp und ist das auch ein Tipp, der gut funktioniert. Ein tiefer Atemzug … wir haben wieder irgendwie so einen Bezug zum Hier und Jetzt … wir haben wieder einen Bezug zu unserem Körper … alles gut … wir können uns orientieren.

Wer aber Traumaspuren in seinem System hat, für den ist ein tiefer Atemzug ungefähr genau das Letzte, was er gerade in dem Moment braucht, wenn er überfordert ist. Nämlich ein tiefer Atemzug bedeutet, dass wir mehr Energie in den Körper reinkriegen, dass wir eben mehr von unserem Körper spüren. Und das ist das, was jemand der Traumaspuren im System hat, versucht zu vermeiden wie der Teufel das Weihwasser. Denn so jemand spürt eh schon viel zu viel, so jemand ist eh schon von diesen ganzen Botschaften die er oder sie im Körper hat schon überfordert. Und dann noch über einen tiefen Atemzug mehr zu fühlen, ist keine gute Idee und deswegen funktioniert so ein Tipp auch nicht.

Ich möchte heute ein bisschen dazu erzählen, warum das nicht funktioniert und wie du diesen so wahren und so wichtigen Tipp trotzdem für dich nutzen kannst, selbst wenn du gerade eher das Gefühl hast, du bist eh schon überwältigt und jetzt noch mehr Energie ins System, das brauche ich jetzt gerade nicht.

Warum hält der Körper die Luft an?

Es geht darum zu verstehen, warum unser Körper instinktiv die Luft anhält. Das kennst du sicher auch: Wenn du dich erschreckst oder jemanden siehst, der sich erschreckt hat, passiert das automatisch. Das erste, was wir tun, ist, die Luft anzuhalten und aufzuhören zu atmen. Und das hat einen guten Grund.

In solchen Momenten versucht unser System, mit den vielen Reizen umzugehen, die gerade auf uns einströmen. Indem wir kurz nicht atmen, indem wir die Luft anhalten, gewinnt unser Körper Zeit. Zeit, um das, was gerade um uns herum passiert, zu verarbeiten. Zeit, um die Überforderung und die Herausforderungen einzuordnen und wieder Orientierung zu finden.

Nach diesem kurzen Moment fangen wir wieder an zu atmen. Doch in dieser Phase des Luftanhaltens – die Muskeln kontrahieren, das Zwerchfell spannt sich an – nutzt unser Körper einen einfachen Trick, um mit der Überforderung fertig zu werden.

Deshalb: Wenn du den Tipp hörst, „nimm einen tiefen Atemzug und sei ganz in deinem Körper“, und das für dich nicht so einfach funktioniert, wie es klingt, sei freundlich zu dir selbst. Geh der Sache nach und frag dich: Was ist gerade los? Was bringt mich dazu, die Luft anzuhalten?

Inhalts­verzeichnis