Warum sind manche Menschen resilienter als andere? (Podcast #6)

In der 5. Folge habe ich angekündigt, dass ich ein bisschen mehr über die Serienausstattung über die unser Körper im Falle eines Falles verfügt erzähle. Denn wie Peter Levine, der Begründer von Somatic Experiencing, zusammenfasst:

Trauma gehört zum Leben dazu. Traumabewältigung auch.

Bei diesem so wichtigen Satz mag ich erst einmal ein bisschen bleiben. Denn in diesem Satz steckt ein Selbstverständnis, dass auch meine Arbeit zutiefst prägt:

Trauma gehört zum Leben dazu.

Egal wie viele Helme und Protektoren wir tragen … egal wie viel Mühe wir uns geben … oder wie viele Versicherungen wir abschließen: Wir können nicht vermeiden, dass das Leben uns manchmal überwältigt.

Wir können nicht verhindern, dass Uns oder unseren Liebsten Leid widerfährt.

Viele starten aus einer zumeist unterbewussten Angst heraus an dieser Stelle ein Wettrüsten mit dem Schicksal und eine Art kalter Krieg mit dem Leben beginnt. Das Unkontrollierbare doch irgendwie kontrollieren zu wollen, wird zur Lebensaufgabe und das damit einhergehende Gefühl von Enge und Belastung wird kaum wahrgenommen und wenn, billigend in Kauf genommen. Schließlich fühlt man sich jetzt besser abgesichert … man hat das Gefühl, alles getan zu haben … man fühlt sich weniger Hilflos.

Nur müssen wir trotzdem feststellen:

Unsere Möglichkeit der Absicherung hat ihre Grenzen.

Kinder fallen nun einmal von Fahrrädern, Ehen scheitern, Freundschaften zerbrechen, Träume zerplatzen, Jobs lösen sich in Luft auf und Menschen werden krank.

All das gehört zum Menschsein dazu. Und so brauchen wir heute mehr denn je … nicht MEHR …. dieser trügerischen Absicherung im Außen. Wir brauchen vielmehr gutes Rüstzeug im Innen, um mit dem Leben und seinen Herausforderungen gut klarzukommen. Wir brauchen wieder mehr Vertrauen in uns und unsere Möglichkeiten.

Aber warum können manche Menschen das? Und andere nicht – oder nicht so gut?

Um diese Frage zumindest im Ansatz beantworten zu können, starte ich hier meinen heutige Ausflug in die Neurobiologie.

Und ich starte mit einer guten Nachricht: dieses Rüstzeug um mit den Herausforderungen des Menschseins gut umgehen zu können, ist Teil unserer Serienausstattung. Denn das Universum war hier wirklich vorausschauend und fürsorglich.

Die scheinbar nicht so gute Nachricht: Einige Features dieser Serienausstattung müssen am Anfang unseres Lebens erst einmal durch Interaktion mit unserem Umfeld aktiviert werden damit sie uns später im Leben dann zur Verfügung stehen.

D. h., wenn wir geboren werden, gehört es zunächst zu unserer Serienausstattung, dass wir uns aufregen können. Der An-Schalter funktioniert. Und zwar recht gut und schnell. Davon können alle Eltern ein Lied singen.

Etwas passt gerade nicht – Magen leer und/oder Windel voll – und schon geht‘s los. Das kleine System fährt hoch und kommuniziert im Rahmen seiner Möglichkeiten mit der Umgebung. … Das Baby schreit.

Wird das Bedürfnis – also Magen voll und Windel leer – befriedigt, fährt das System wieder runter. Zumindest meistens.

Das, was das System dabei lernt: ich habe Innen ein Problem, ich mache auf mich aufmerksam, mir wird vom Außen geholfen, mein Problem verschwindet.

Hier wird positiv gelernt, dass ich von da Draußen Hilfe bekomme. Und zwar eine Hilfe, die mir auch wirklich hilft. Je öfter das passiert, um so schneller klappt es dann mit der Beruhigung und um so länger kann ich in einer unguten Situation die Ruhe bewahren. Schließlich habe ich das Vertrauen entwickeln können, dass schon jemand kommt. Das ist der Grundstein für Resilienz.

Solchen Menschen fällt es dann auch später im Leben leicht, andere um Hilfe zu bitten und diese Hilfe dann auch annehmen können. Solche Menschen beutelt das Leben zwar auch, aber sie haben mehr innere Kapazität damit umzugehen. Solchen Menschen macht das Leben keine Angst und sie können auch in Krisen leichter einen kühlen Kopf bewahren und stimmige Entscheidungen treffen.

Die Kehrseite der Medaille

Das unreife System eines Säuglings braucht die angemessene Reaktion eines reifen Systems, um den Aus-Schalter überhaupt erstmal zu finden und dann aktivieren zu können. Der gehört zwar auch zur Serienausstattung, aber dem muss ein Säugling erst einmal entdecken. Und das kann es nur durch vielfach wiederholte erlebte, positive Erfahrungen.

Heißt: wenn ein Kind schreit weil – Bauch leer und /oder Hose voll – und die Bezugsperson schafft nicht zeitnahe Abhilfe, kennt das noch unreife System zunächst nur den Weg nach Oben. Und je länger es in diesem hochgefahrenen Zustand war, um so länger dauert es, bis es sich danach wieder beruhigen lässt. Auch das wissen Eltern.

Ein Säugling kann nicht verstehen, dass die Bezugsperson gerade nur kurz auf der Toilette ist und nur dadurch nicht sofort zur Verfügung steht. Kommt dann die Hilfe angesprintet und hilft, ist diese kleine Überforderung schnell vergessen und kann sogar als Bindungsstärkend erlebt werden.

Kommt die Bezugsperson aber angesprintet und schimpft als aller erstes mit dem Säugling, bleibt die Überforderung nicht nur, sie verstärkt sich.

Man kann sich das wie eine Leiter vorstellen.

Das unreife Säuglings-Nervensystem klettert hoch, das eingestimmte, reife Erwachsenen-Nervensystem bleibt ein paar Stufen drunter und hilft, den Rückweg zu finden.

Klettert das zwar reifere, aber ebenfalls gestresste Erwachsenen-System jedoch mit hoch und überholt das unreife Säuglings-System vielleicht sogar, findet das unreife System nicht mehr den Weg runter und klettert die Leiter mit hoch.

Hier kann ein Teufelskreis beginnen … Denn ein Säugling, der sich nicht beruhigen lässt, ist Stress für das Umfeld. Und in einem gestresstes Umfeld kann ein Säugling sich nicht beruhigen.

Hat dieser Teufelskreis einmal angefangen, braucht im ersten Schritt das Nervensystem der Bezugspersonen Unterstützung, um sich wieder beruhigen zu können und wieder resilienter zu werden.

Wenn du hierzu mehr erfahren möchtest, kann ich dir die Seite transparents.net sehr ans Herz legen. Ich kenne Kirsten und Teresa nicht persönlich, aber ich habe so viel Gutes gehört, dass ich diese Information von Herzen gerne weitergebe.

Transgenerationales Trauma

Bevor ich zum Ende meines heutigen Podcasts komme, möchte ich noch kurz etwas über den Bedeutung von Transgenerationalem Trauma in diesem Zusammenhang sagen.

Erlebtes Trauma hat direkten Einfluss auf unsere Resilienz. Und wird unser Nervensystem aus diesem Traumakäfig nicht wieder befreit, bleiben wir eng und begrenzt – und merken es nicht einmal. Wir meinen, so wie es ist … so wie wir sind … ist es normal.

Normal vielleicht, aber sicherlich nicht natürlich.

Lass diese Unterscheidung gerade mal auf dich wirken.

Normal vs. Natürlich

Es ist nicht natürlich ein aufgebrachtes Kind anzuschreien.

Es ist nicht natürlich ein schreiendes Kind schreien zu lassen.

Es ist nicht natürlich einem 2 Jährigen zu sagen, dass man ihm nicht helfen kann wenn er nicht beschreiben kann, wo es gerade weh tut und wie es gerade weh tut.

Und es ist nicht natürlich, jemanden der sich gerade weh getan hat anzumaulen, dass er halt hätte besser aufpassen müssen.

All das hat nichts mit gesunder Empathie zu tun.

All das ist sind Anzeichen für ein nichtresilientes Nervensystem.

Und wir alle sind so nicht geboren worden. Wir alle haben das gelernt oder vielmehr lernen müssen. Von den kriegstraumatisierten Generationen vor uns. Die Generationen vor uns mussten abspalten und verdrängen, um zu überleben. Sie mussten eng und stumpf werden.

Und wir dürfen uns heute wieder strecken. Wie dürfen uns heute öffnen und wieder lernen, was es bedeutet, gesunde Emotionen zu spüren. Das ist unsere Aufgabe.

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