Warum ich über Trauma spreche – und wie

In dieser Folge spreche ich darüber, was mich in meiner Haltung zum Thema Trauma geprägt hat und warum es mir so ein tiefes Anliegen ist, dass wir als Gesellschaft einen neuen Umgang damit finden. Ich erzähle dir von meinem eigenen Weg, meinem Blick auf Emotionen – und warum es mir so wichtig ist, dass wir wieder lernen, zwischen Körperempfindungen, Emotionen und Gedanken zu unterscheiden. Denn genau hier beginnt oft der Schlüssel zu echter Veränderung.

Zwischen Ablehnung und Offenheit: Was Trauma bei anderen auslöst

Wenn ich über meine Arbeit spreche oder wenn Menschen erfahren, dass ich eine eigene Traumaschule gegründet habe, beobachte ich sehr unterschiedliche Reaktionen. Manche Menschen fühlen sich gesehen und öffnen sich. Es entsteht Raum für echte Geschichten, für das, was lange keinen Platz hatte. Andere reagieren mit Ärger oder Widerstand – oft ausgelöst durch Sätze wie: „Dann sind wir ja alle traumatisiert.“ Ja, sage ich dann. Genau das ist mein Punkt. Wir alle tragen in gewisser Weise Spuren von Trauma in uns. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir beginnen, darüber zu sprechen – ruhig, respektvoll und differenziert.

Emotion ist nicht gleich Emotion

In meiner Arbeit lege ich großen Wert darauf, dass wir lernen, Emotionen nicht über einen Kamm zu scheren. Es gibt sogenannte Primäremotionen – Gefühle wie Angst, Freude, Wut oder Traurigkeit, die unmittelbar, instinktiv und biologisch verankert sind. Und es gibt Sekundäremotionen – wie Scham, Schuld oder Eifersucht, die komplexer sind und stark mit unseren Bewertungen und Erfahrungen verknüpft.

Ich finde es wichtig, dass wir diese Unterscheidung nicht nur theoretisch verstehen, sondern ganz praktisch spüren lernen. Denn oft reagieren wir im Alltag mit Wut oder Rückzug – und übersehen, dass darunter vielleicht eine ganz andere, tiefere Regung liegt: ein Schmerz, der nicht gefühlt werden darf, eine Traurigkeit, die keinen Raum hatte.

Die Missverständnisse rund um Wut

Ein gutes Beispiel dafür ist das Gefühl von Wut. Auf den ersten Blick scheint sie klar und direkt – eine klassische Primäremotion. Aber oft ist sie das gar nicht. Häufig liegt unter der Wut ein anderes Gefühl: Trauer, Enttäuschung, ein alter Schmerz. Oder Wut ist das, was wir zeigen dürfen, weil andere Emotionen in unserer Biografie keinen Platz hatten.

Ich erlebe es immer wieder, dass wir uns auf dieser Ebene missverstehen – in uns selbst und im Gespräch mit anderen. Und genau deshalb ist es mir ein so großes Anliegen, dass wir unseren Blick für die Tiefe und Komplexität unserer Gefühlswelt schärfen.

Die drei Ebenen unseres Erlebens

In meiner Arbeit spreche ich oft vom „dreieinigen Gehirn“ – ein vereinfachtes, aber sehr hilfreiches Modell, das ich gerne nutze. Es unterscheidet drei Ebenen: unser Stammhirn, das für Empfindungen zuständig ist, unser limbisches System, in dem die Emotionen entstehen, und den Neokortex, wo Gedanken und Bewertungen verarbeitet werden.

Ich wünsche mir, dass wir lernen, in Gesprächen über Trauma alle drei Ebenen einzubeziehen. Denn wenn wir nur aus der Ratio sprechen, verlieren wir den Kontakt zu unserem Körper und unseren Gefühlen. Wenn die Emotionen überkochen, ist der Verstand oft nicht mehr erreichbar. Nur wenn alle drei Ebenen mit am Tisch sitzen, wird es wirklich „gehirngerecht“ – und heilend.

Popcorngefühle und die Kunst des Innehaltens

Manchmal fühlt sich unser inneres Erleben an wie eine Popcornmaschine – plötzlich geht alles los: Wut, Tränen, Ärger, Rückzug. Ich nenne das gerne „Popcorngefühle“. In diesen Momenten hilft es kaum, einfach weiterzureden. Denn unser System ist überflutet. Die Kapazität, logisch zu denken, ist dann meist kaum noch vorhanden.

Was ich stattdessen vorschlage: innehalten. Spüren. Wahrnehmen. Was sagt mein Körper gerade? Was fühle ich wirklich? Und was denke ich darüber? Diese drei Fragen können so hilfreich sein. Und ich lade dich ein, sie nicht nur jetzt im Podcast, sondern im Alltag öfter mal zu stellen – zum Beispiel im Auto, an der Ampel, im Gespräch, im Stress. Es macht einen Unterschied.

Tränen sind nicht gleich Trauer

Ein besonders schönes Beispiel für diese Differenzierung ist das Phänomen der Tränen. Wir alle kennen sie – aber wir deuten sie oft sofort: „Du bist traurig.“ Doch Tränen können viele Bedeutungen haben. Sie können Zeichen von Berührung, Freude, Wut oder Ohnmacht sein. Deshalb frage ich, wenn ich bei jemandem Tränen sehe: Was ist das für eine Emotion, die da mitfließt? Und: Gibt es dazu auch Gedanken?

Diese Haltung macht einen riesigen Unterschied. Sie öffnet den Raum für echten Kontakt – mit sich selbst und mit anderen.

Trauma beginnt im Körper – und endet nicht im Kopf

Traumatische Erfahrungen werden nicht primär im Denken gespeichert, sondern im Körper – im Stammhirn und im limbischen System. Deswegen ist es so schwer, über Trauma nur rational zu sprechen. Und deswegen kochen Emotionen auch so schnell hoch, wenn das Thema zur Sprache kommt.

Ich sehe es als meine Aufgabe – und auch als eine kollektive Aufgabe für uns alle – einen besseren Umgang mit Trauma zu finden. Nicht, indem wir alles analysieren oder pathologisieren. Sondern indem wir lernen, uns selbst besser zu spüren und unsere emotionale Landschaft zu verstehen.

Mein Wunsch: ein neues Miteinander

Ich glaube daran, dass wir als Gesellschaft, als Menschenfamilie, einen neuen Zugang zu Trauma entwickeln können. Einen wertschätzenden, nicht wertenden, ruhigen Zugang. Einen, der alle drei Ebenen unseres Erlebens einlädt: Körper, Emotionen, Gedanken. In meiner Traumaschule versuche ich genau das weiterzugeben: ein tiefes Verständnis für die Komplexität unseres inneren Erlebens – und die Fähigkeit, differenziert, respektvoll und „gehirngerecht“ in Kontakt zu treten.

Wir sind – das glaube ich wirklich – alle noch Pioniere auf diesem Weg. Und ich empfinde es als etwas zutiefst Friedliches, mich mit den Erfahrungen und Traumageschichten der Generationen vor mir zu verbinden. Ich nehme diesen Staffelstab, auch wenn er schwer ist, und frage mich: Was darf ich daraus machen? Und wie kann ich ihn weitergeben – in meiner Arbeit, in meinen Gesprächen, vielleicht auch hier, in diesem Podcast?

Teilen ist heilen

Wenn dich diese Folge berührt hat, freue ich mich, wenn du sie teilst – mit Menschen, denen sie gut tun könnte. Und ich freue mich auch, wenn du mir schreibst: Wie geht es dir mit dieser Idee, dass wir gemeinsam einen neuen Umgang mit Trauma finden dürfen? Was bewegt dich dabei? Was entdeckst du, wenn du deine Empfindungen, Emotionen und Gedanken mal ganz bewusst voneinander trennst?

Denn wie eine meiner Lehrerinnen so schön sagt: Teilen ist heilen.

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