Im heutigen Podcast geht es um den Umgang mit Trauma innerhalb der Familie. Und ich meine damit nicht, wenn ein Trauma innerhalb der Familie passiert ist, sondern es geht darum, wie innerhalb einer Familie damit umgegangen wird, wenn einem Familienmitglied etwas Schlimmes passiert ist.
Ich erlebe immer wieder, dass dann eins passiert: es wurde und wird totgeschwiegen. Man redet nicht drüber.
Und da das zwar kurzfristig gut und hilfreich zu sein scheint, aber langfristig großes Leid nach sich zieht, mag ich hier ein bisschen Licht in diesen blinden Flecken bringen. Einen blinden Flecken, der überwiegend aus Scham und Schuld besteht. Und daher ist auch nachvollziehbar, dass man ihn am liebsten ausblenden und nicht mehr hinschauen will.
Ich kenne einige Familiengeschichten, wo schlimme Unfälle passiert sind. Unfälle, für die niemand etwas konnte … Unfälle, die durchweg blöd gelaufen und einfach passiert sind … Unfälle, wo man nur den Kopf schütteln kann, dass so was überhaupt passieren kann.
Ich kenne Familiengeschichten, wo es Mobbing gab … oder wo ein wichtiger Mensch plötzlich gestorben ist … und erst vor ein paar Tagen habe ich eine Familiengeschichte gehört wo die Tochter als Teenager vergewaltigt wurde und die Familie über den anschließenden Gerichtsprozess fast auseinander gebrochen wäre.
Ich kenne viele Familiengeschichten, in denen aufgrund von Schuld und Scham Schlimmes totgeschwiegen wurde, in der Hoffnung, dass es dann genauso einfach wieder weg geht wie es irgendwann einmal ungefragt gekommen ist.
Fast alle dieser Familiengeschichten haben eines gemeinsam
Meine Frage „Habt Ihr damals Hilfe … Begleitung … Therapie … bekommen?“ wurde verneint. Alle diese Familien waren in der akuten Phase allein mit und in dem emotionalen Chaos. Sie alle waren allein in ihrer individuellen und kollektiven emotionalen Überforderung. Ja, sie alle haben es irgendwie hinbekommen und ja, natürlich war da medizinische und manchmal auch juristische Hilfe. Nur waren sie als Menschen, nur war ihre Seele allein. Und sie alle haben dafür langfristig einen hohen Preis gezahlt.
Auf den ersten Blick erscheint es durchweg logisch, dass die ganze Familie darunter leidet, wenn einem Familienmitglied etwas Schlimmes passiert. Von jetzt auf gleich ticken die Uhren anders, von jetzt auf gleich ändern sich Routinen, von jetzt auf gleich sind Dinge, die bisher selbstverständlich waren nicht mehr möglich, von jetzt auf gleich muss man auf Dinge Rücksicht nehmen, die vorher nie ein Thema waren. Und von jetzt auf gleich muss man für etwas Unvorstellbares Verständnis aufbringen und sich selbst zurücknehmen.
Für Erwachsene ist da ja schon schwer, aber für Kinder nahezu unmöglich.
Ein Kind kann so komplexe Zusammenhänge noch nicht verstehen. Natürlich kommt es hier sehr auf das Alter des Kindes an. Auch das ist logisch. Für ein kleines Kind ist es weitaus schlimmer, wenn eine Bezugsperson plötzlich mehr im Krankenhaus als zuhause ist. Vielleicht weil sie selbst den Unfall hatte oder vielleicht weil sie sich um das Geschwister kümmern muss. Oder die Bezugsperson ist mental so angeschlagen und von ihren Gefühlen absorbiert, dass sie zwar körperlich anwesend ist, dem Kind aber emotional und energetisch zur Verfügung steht. Das Kind bekommt nur mit: meine Bezugsperson ist nicht mehr für mich da. Und je nach Alter reagieren Kinder hierauf. Manchmal mit Wut, manchmal mit Rückzug und oft entsteht merkwürdiges Verhalten.
Traumainformierte Begleitung
Ideal wäre es, wenn betroffene Familien gleich von Anfang an und durchgängig Traumainformierte Begleitung bekommen würden. Gerade wenn noch alles neu, überwältigend und angsteinflößend ist, könnte so eine Traumainformierte Begleitung viel abpuffern und dafür sorgen, dass aus diesem Schocktrauma kein komplexes Trauma wird. Traumatherapie kann sich dann daran anschließen, denn wenn es akut ist, kann und sollte man eh nicht therapieren. Da kann man nur begleiten und darin unterstützen, das Boot so heil wie möglich durch die tosenden Wellen zu navigieren.
Das ist auch einer der vielen Gründe, warum ich in meiner Trauma-Schule Trauma Informierte Begleiterinnen und Begleiter ausbilde. Das Ziel meiner Trauma-Schule ist es, Menschen ein Grundverständnis über Trauma zu geben damit Menschen, die gerade in einer Krise stecken eine Hilfe und Unterstützung bekommen, die ihnen auch wirklich hilft.
Denn erst wenn wir wirklich verstanden haben … und wirkliches verstehen ist kein kognitives Verstehen, es ist ein Ganzkörperverstehen … was ein Trauma ist … was in uns passiert … wie unser Körper und unser Geist sich in diesen Momenten organisieren … erst dann können wir wirklich empathisch hilfreich sein.
Nur leider fehlen in unserer Welt Trauma Informierte Begleiterinnen und Begleiter, die in solchen Phasen die Familie managen und besonders die Kinder ihrem Alter entsprechend unterstützen könnten. Es könnte so viel unnötige Überforderung vermieden werden und Familien könnten ge- und bestärkt aus dieser Krise kommen und müssten nicht noch Jahre später individuell und kollektiv darunter leiden.
Aber ich bin guter Dinge, dass es in Zukunft immer mehr Trauma Informierte Begleiterinnen und Begleiter geben wird. Denn ich bin mit meiner Trauma-Schule nicht mehr allein. Das Thema Trauma wird mehr und mehr ein Thema und immer mehr Kolleginnen und Kollegen von mir, teilen ihr Wissen mit der Welt.
…
Würden also solche Familien eine Traumainformierte Begleiterin oder einen Traumainformierten Begleiter an ihrer Seite haben, müssten sie nicht allein auf ihre alten Muster zurückgreifen. Denn das ist es, was wir instinktiv tun, wenn wir in Not sind.
Hinzu kommt: Wir alle haben in unterschiedlichem Maße gelernt, stark zu sein … niemanden zu brauchen … alleine klarzukommen. Und das meistens basierend auf einer alten falschen Scham. Und zwar der Scham, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, wenn man Hilfe braucht. Diesen alten Glaubenssatz tragen leider immer noch viele von uns in sich. Und unsere Leistungsgesellschaft der letzten Jahrzehnte hat hier einen großen Teil zu beigetragen. Ich schaff das schon … ich bin stark … ich bin belastbar … ich brauche nichts und niemanden …
Passend hierzu habe ich vor ein paar Tagen einen so wahren Spruch im Netz gefunden:
„Du kannst erst heilen, wenn Du aufhörst so zu tun, als wärst Du nicht verletzt.“
Denn so lange wir so tun, als wären wir nicht verletzt, bleibt unser Nervensystem im Überlebensmodus stecken. So lange wir so tun, als wären wir nicht verletzt, können wir keine Hilfe annehmen. Und so lange wir so tun, als wären wir nicht verletzt, so lange wird in Familien auch weiterhin geschwiegen.
Bei Familien, die Schlimmes erlebt haben, kommt hier noch Schuld dazu. Das Gefühl, den oder die Betroffene nicht genug beschützt zu haben … das Gefühl, irgendetwas versäumt zu haben … das Gefühl, durch ein eigenes Fehlverhalten mit Schuld an der Katastrophe gehabt zu haben … schwingt unterschwellig mit.
Wie oft habe ich in Sessions Sätze, die mit „Hätte ich doch …“ anfangen, gehört. Hätte ich besser aufgepasst … wäre ich vorsichtiger gewesen … hätte ich mehr getan … was habe ich übersehen, dass so etwas passieren konnte …
Und so ist es diese vertrackte Mischung aus Schuld und Scham die Familien verstummen lässt. Und zwar sowohl nach Außen als auch nach Innen.
Nach Außen wird dann versucht das, was passiert ist soweit wie nur möglich zu verschweigen oder zu relativieren. Denn was sagt das über uns aus, dass uns so was passiert ist? Was könnten die Leute denken?
Nach Innen wird versucht es durch Schweigen schnellstmöglich zu vergessen und schnellstmöglich so weiterzumachen, als wäre ja gar nicht so viel passiert.
Irgendwie bleiben alle auf der Strecke
Und so bleiben dabei alle irgendwie auf der Strecke, denn man lässt sich gemeinsam allein mit der Last.
Jahrelang heißt es daher, wir haben ja alles getan … da konnte niemand was für … war ja nicht so schlimm … ist vorbei … warum das nochmal aufwärmen? … lassen wir die Geister ruhen.
Nur ruhen diese Geister eben nicht.
Erzählen mir Klienten dann davon, lausche ich anfangs sehr behutsam, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie groß das Tabu ist. Wie nah dürfen wir dem was damals passiert ist heute kommen?
Hier kommt der in meinen Augen kostbarste Teil der NARM-Arbeit ins Spiel: das Wissen um die zentrale Bedeutung des Schutzes der Bindungsbeziehung in allem, was wir tun.
Der Schutz der Bindungsbeziehung
Denn so unlogisch es auf den ersten Blick erscheint, so viel Sinn macht es aus Sicht des Schutzes der Bindungsbeziehung weiterhin das Tabu zu beachten und das, was damals passiert ist weiterhin zu verdrängen. Und diese Dynamik wirkt weiter, selbst wenn die Eltern schon seit Jahren tot sind.
Und so fühlt es sich nach wie vor an wie Verrat, wenn man einem Außenstehenden erzählt, was damals passiert ist … wie man es erlebt hat … wie es einem dabei und danach ging … und wie in der Familie damit umgegangen wurde.
Daher bin ich anfangs sehr behutsam und achte darauf noch wertfreier als ich ja eh schon bin, meine Fragen zu stellen. Denn würde allein nur mein inneres Kopfschütteln durchschimmern, würde mein Gegenüber, um die Bindungsbeziehung zu schützen, sofort dicht machen. Sofort würde er oder sie die Eltern oder sich selbst in Schutz nehmen … versuchen zu relativieren, was damals passiert ist. Es wäre kein Durchkommen.
Ein weiterer kostbarer Teil der NARM-Arbeit
Und auch das ist ein weiterer kostbarer Teil der NARM-Arbeit: da ich zu keiner Zeit Zielorientiert bin … also keinerlei Absicht verfolge … lade ich meine Klienten zwar ein gemeinsam mit mir heute ein bisschen länger hinzuschauen, aber wenn sie gleich wieder wegschauen, lasse ich sie.
Ja, ich spiegel ihnen diese Dynamik, ich lass sie hier nicht so ohne weiteres vom Haken. Schließlich sind sie bei mir, um sich das alte Trauma endlich anzuschauen. Ich sage also z. B. so etwas wie „Mir fällt gerade auf: Du sagst, du möchtest dir xy anschauen und wenn wir dann hinschauen, gehst du weg.“ Und dann beobachte ich, was dann passiert.
Dadurch, dass ich ihnen ihren Prozess spiegele, kann die Frage auftauchen: warum mache ich das eigentlich? Und um genau diese Forschungsfragen geht es.
Warum gehe ich weg? Für was ist es gut, weg zu gehen?
Diese Fragen ermöglichen, dass die alte Familiendynamik sich zeigen kann. Und wenn die sich im Hier und Jetzt zeigt, schließt sich eine der klassischen NARM-Frage an:
Wie ist es das jetzt wahrzunehmen?
Wie fühlt es sich jetzt … hier an sich des alten Schweigens … des alten Tabus … bewusst zu werden?
Wie es dann weitergeht, ist individuell und unterliegt gleichzeitig Prinzipien, die Traumainformierte Begleiterinnen und Begleiter kennen. Und so können Traumainformierte Begleiterinnen und Begleiter hier wie ortskundige Lotsen ihren Klienten helfen den Weg raus aus dem alten Tabu zu finden … in ihrem eigenen Rhythmus … und ohne das Bedürfnis, dicht machen zu müssen … denn sie haben deutlich weniger den Impuls irgendwen gegenüber ihrem Gegenüber schützen zu müssen.
Dank der traumainformierten Begleitung können sie sich heute aus den alten Verklebungen lösen und endlich kann etwas heilen … endlich können sie heilen. Denn sie dürfen endlich aufgehören so zu tun, als wären sie nicht verletzt.
Hoffnung
Und noch etwas, dass hier zutiefst Hoffnung macht: wenn einer oder eine im Familiensystem sich auf diesen Weg der Heilung macht, heilt das ganze System. Denn wenn einer sich ändert, verändert sich alles.
Sollte ich dich neugierig gemacht haben weil auch du so ein altes Familientabu in dir trägst, dann melde dich bei mir und wir schauen gemeinsam hin.
Und sollte du bereits mit Menschen arbeiten und dein Wissen um neuroaffektives Traumawissen, dann findest du hierzu auf meiner Homepage jede Menge weitere Informationen.