Vom Ausprobieren und Scheitern. Und was die Kunst des Lobens damit zu tun hat (Podcast #16)

Ich mag mich heute ein bisschen den Themen Ausprobieren, Scheitern und was die Kunst des Lobens damit zu tun hat, zuwenden. Und hier besonders der Frage, warum zu viel Lob mehr schadet als nützt. Und was all das mit Frustrationstoleranz zu tun hat.

Dazu starte ich mit einem gerade persönlich erlebten Beispiel:

Ich hatte gerade 4 Tage ausgiebig Zeit das gesamte Spektrum in mir selbst zu erleben. Mein neuer Kooperationspartner powerbrain bietet eine Ausbildung zum Trainer für mentale Gesundheit an und ab 2025 werde ich zum einen die Ausbildung um das Thema Trauma erweitern und zum anderen wird innerhalb von powerbrain eine Trauma-Schule unter meiner Leitung entstehen. Damit ich einen Einblick in die Inhalte der Ausbildung bekomme, habe ich beim Basismodul teilgenommen. Und hier durfte ich mich 4 Tage im Ausprobieren und scheitern, in Frustrationstoleranz und im Aushalten von Lob üben.

Ja, du hast richtig gehört. Ich durfte mich im Aushalten von Lob üben.

Was muss man denn da aushalten? Und warum üben? … wirst du dich jetzt vielleicht fragen.

Eine kleine Zeitreise

Um die Frage zu beantworten, nehm ich dich mit auf eine kleine Zeitreise und dafür mache ich einen kurzen Ausflug in meine Vergangenheit. Denn in meiner Kindheit war Lob Mangelware. Eher im Gegenteil. Egal wie gut etwas lief, das Augenmerk lag auf dem was nicht gut lief. Und hier war es egal ob es 50/50 war oder 80/20 oder 99/1 … Der Fokus war auf dem, was nicht gelungen war. Und hier war es egal, ob es mit dem aktuellen Ereignis zu tun hatte. Selbst wenn ich hier 100 % erreicht hatte, wurde eine andere Situation hervorgekramt in der ich die 100 nicht erreicht hatte und schon war ich wieder auf das Format zusammengestutzt, dass meine Umgebung handeln konnte. Lob kam wenn im Nebensatz und war gefolgt vom „Ja, aber …“

Ganz perfide war, dass mein Vater mir von klein auf eine Geschichte ins Hirn gepflanzt hat und zwar die Geschichte vom Bösen da draußen und dem Guten hier Drinnen in unseren 4 Wänden. Er erklärte uns Kindern, dass Menschen nur loben, wenn sie was von einem wollen, wenn sie eine eigene Absicht verfolgen. Wenn er uns also kritisierte, so sagte er, war das das Ehrliche … das Wahre … die Wahrheit. Wohingegen das Lob von Fremden nur deren eigenen Vorteil dient und man auf der Hut sein müsse. Denn nur Menschen, die einen wirklich lieben, kritisieren. Also habe ich von klein auf gelernt, dass Kritik Liebe ist und Lob Manipulation vor der man auf der Hut sein muss.

So fürs Leben gerüstet, habe ich mich viele Jahre extrem schwer damit getan ein nettes Wort zu hören. Ich bin jedem netten Wort mit Ironie und Sarkasmus begegnet und habe damit so manchen netten Menschen … so manchen mir wohlgesonnenen Menschen … übel vor den Kopf gestoßen. Sollten ein paar davon das hier lesen, entschuldige ich mich von Herzen für meine unangemessenen Kotzbrockenreaktionen. Heute weiß ich, ich habe es damals komplett nicht mitbekommen. Ich habe nicht anderes gekonnt, denn ich war damals noch komplett in dieser von meinem Vater gebauten Gedankenblase gefangen und habe von da aus mit der Welt um mich interagiert. Also, auf diesem Wege Sorry!

Heute weiß ich, was mich damals innerlich umgetrieben hat und heute kann ich anders mit Lob umgehen. Denn ich habe gelernt, Lob anzunehmen und ich habe gelernt, selber ehrlich und von Herzen zu loben.

Lob ist eine soziale Belohnung

Heute weiß ich: Ja, es gibt manipulatives Lob. Mit dem Teil hatte mein alter Herr recht.

Lob ist eine soziale Belohnung und wir loben zumeist, weil wir eine Absicht verfolgen, entweder um z. B. gewünschtes Verhalten zu verstärken oder gewünschtes Verhalten zu bekommen. Und daran ist per se nichts Schlechtes. Das machen Eltern – egal ob die von Zweibeinern oder Vierbeinern –, das machen Lehrer, das tun Liebende, es passiert subtil durch ein Lächeln oder eindeutig durch Worte.

Lob und der Gegenspieler Tadel umgeben uns ständig und die gesamte Werbe- und Marketingbranche lebt von diesem Konzept.

Und so belohnt uns der Supermarkt durch die Klebemarken im Rabattheft … der Zahnarzt die Kinder mit Stempeln, die dann im Kindergarten vor den Augen der anderen Kinder in ein Geschenk umgewandelt werden können … der Chef mit einer Gehaltserhöhung … der Partner oder die Partnerin mit Blumen und / oder Schmuck … Eltern mit Spielzeug …

Lob signalisiert uns: Ich habe etwas richtig gemacht … ich bin gut … ich gehöre dazu.

Und dadurch fühlen wir uns gut. Unser Gehirn schüttet Glückhormone aus – dazu gleich mehr – ,  wir strahlen und wollen mehr von diesem guuuuuuten Gefühl. Also tun wir mehr von dem was uns das Lob eingebracht hat. In der Hoffnung, dass es dann auch mehr Lob gibt.

Vielleicht ahnst du schon, dass all das ein Zweischneidiges Schwert sein kann. Denn:

Wo ist die Zu-viel-des-Lobes-Grenze?

Also wo sollte man einfach mal den Mund halten und vielleicht nur durch ein Lächeln oder ein Kopfnicken Lob signalisieren?

Und wo hört ehrliches, gesundes Lob auf und wo fängt die Manipulation an?

Denn muss man wirklich jedes Mal, wenn das Kind den Knopf am Kaffeevollautomaten trifft in Ekstase verfallen? Muss man jedes Mal dem Hund einen Belohner zwischen die Zähne schieben, wenn er Sitz macht? Muss man dem Partner oder der Partnerin jedes Mal eine Hymne singen, wenn lecker gekocht oder die Spülmaschine ausgeräumt wurde?

Oder wann darf man Dinge einfach mal erwarten und in die Rubrik der Selbstverständlichkeit einsortieren? Und wie oft sollte man diese Rubrik mal wieder hervorkramen, überprüfen und das Ding mit der Spülmaschine wieder einmal lobend erwähnen?

Meine persönliche Meinung hierzu ist: die Dosis macht das Gift. Und wie in so vielen anderen Lebensbereichen helfen auch hier 2 Dinge:

Bewusstheit und Achtsamkeit

Bewusstheit über die eigene Intention und das eigene Verhalten. Und Achtsamkeit wie und wann man Lob einsetzt.  

Das gepaart mit der Fähigkeit sich selbst zurückzunehmen, um den oder die Gelobte das Lob genießen und auskosten zu lassen und schon wird Lob zu einem Geschenk. Und zwar nicht nur für den oder die Gelobte, sondern auch für den oder die Lobende.

Also eigentlich ist loben eine durchweg feine und sinnvolle Sache. Nur warum tun sich so viele Menschen dann damit so schwer?

Eine Zwischenfrage

Nähern wir uns dieser spannenden Frage doch gerade mal mit einer Zwischenfrage:

  • Wie geht es dir mit dem Thema Lob?
  • Wie leicht … oder schwer … fällt es dir, zu loben und gelobt zu werden?
  • Und fällt es dir leichter zu loben als gelobt zu werden?
  • Oder kannst du Lob gut annehmen, nur beim Loben anderen wird es hölzern und ein bisschen unecht?

Lass diese Fragen einfach mal kurz sacken und beobachte dich in der nächsten Zeit hier ein bisschen. Schau auch mal wie es dir geht wenn jemand in deinem Umfeld gelobt wird.

Ein kleiner Ausflug in die Neurobiologie

Um Lob ein bisschen besser zu verstehen, macht ein kleiner Ausflug in die Neurobiologie Sinn.

Denn wenn wir gelobt werden, wird im Gehirn eine Reihe von chemischen und neuronalen Reaktionen ausgelöst, die uns positive Gefühle vermitteln und unser Wohlbefinden steigern. Lob wirkt als soziale Belohnung und verstärkt das Bedürfnis, das gelobte Verhalten zu wiederholen. Dabei spielen verschiedene Botenstoffe eine Rolle:

1. Dopamin

  • Wirkung: Dopamin ist als „Glückshormon“ bekannt und wird in Belohnungssituationen freigesetzt, also auch wenn wir Anerkennung oder Lob erhalten. Es ist vor allem im Belohnungszentrum des Gehirns aktiv.
  • Effekt: Dopamin erzeugt ein Gefühl von Freude und Zufriedenheit, was uns motiviert, das Verhalten zu wiederholen, das zu diesem positiven Feedback geführt hat. Es trägt auch zur Lernmotivation bei und verstärkt die Verknüpfung zwischen Verhalten und Belohnung.

2. Oxytocin

  • Wirkung: Oxytocin, oft als „Bindungshormon“ bezeichnet, ist ebenfalls in sozialen Interaktionen aktiv, besonders bei Lob oder anderen positiven Interaktionen.
  • Effekt: Es fördert das Gefühl von sozialer Bindung und Vertrauen. Oxytocin wird übrigens häufig auch in Situationen freigesetzt, in denen wir emotionale Unterstützung oder Anerkennung erhalten, was die Bindung zu anderen Menschen stärkt, die wir als hilfreich erlebt haben.

3. Serotonin

  • Wirkung: Serotonin ist ein Neurotransmitter, der für Stimmung, Wohlbefinden und Selbstwertgefühl wichtig ist.
  • Effekt: Wenn wir gelobt werden, steigt das Serotonin-Niveau an, was zu einem erhöhten Selbstwertgefühl führt. Ein ausgeglichenes Serotonin-Level trägt dazu bei, dass wir uns emotional stabil fühlen und stärkt unser Selbstbewusstsein.

4. Endorphine

  • Wirkung: Endorphine sind natürliche Schmerz- und Stresshemmer im Gehirn und werden bei positiven Erlebnissen, wie etwa Lob, ebenfalls freigesetzt.
  • Effekt: Sie fördern Gefühle von Freude und Entspannung und tragen so zum Wohlbefinden bei. Endorphine reduzieren auch Stress, was die Auswirkungen des Lobes verstärkt.

Zusammenfassend

Lob aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn und setzt ganz ohne jede Zuführung von Substanzen eine Kombination von Dopamin, Oxytocin, Serotonin und Endorphinen frei. Diese Neurotransmitter arbeiten zusammen und erzeugen ein Gefühl von Freude, Zufriedenheit und sozialer Verbundenheit.

Deshalb empfinden wir Lob auch als so angenehm und fühlen uns motiviert, das Verhalten, das zu dieser positiven Rückmeldung geführt hat, zu wiederholen.

Und langfristig kann regelmäßiges Lob und Anerkennung dazu beitragen, dass positive Verhaltensweisen verstärkt und neuronale Bahnen im Gehirn umstrukturiert werden. Das bedeutet, dass Lob auch langfristig das Selbstwertgefühl und das soziale Verhalten beeinflussen kann.

Gestärktes Selbstwertgefühl

Und genau dieses gestärkte Selbstwertgefühl ist es, das Lob so herausfordernd macht.

Denn jemand dessen Selbstwertgefühl durch ein Lob gerade Rückenwind bekommen hat, gewinnt durch all die tollen Botenstoffe, die da in seinem oder ihren Blut umherschwimmen, auch an Energie, Ausstrahlung und Mut. Und damit muss man erst einmal umgehen können. Und das gilt für den oder die Gelobten genauso wie für den oder die Lobenden.

Kinder lernen das Wechselspiel aus Herausforderung … Erfolg oder Scheitern … und Lob – im besten Fall – von klein an von ihren Bezugspersonen.

Wie diesen Bezugspersonen mit unserer vor Stolz geschwelgten Brust umgegangen sind, stellte die Weichen dafür, wie wir auch später im Leben mit Lob umgehen.

Bezugspersonen

Wurden wir ehrlich und angemessen gelobt, haben wir auch später im Leben kein Problem mit ehrlichem und angemessen Lob. Weder wenn wir loben, noch wenn wir gelobt werden.

Wurden wir aber auch noch beim 37. Mal überschwänglich für das Drücken der Starttaste am Kaffeeautomaten gelobt … also für etwas, dass wir ja bereits konnten … wollte sich das guuuute Gefühl einfach nicht mehr einstellen. Das Lob wurde fad und wurde nur noch als leere Floskel erlebt. Es hat an Bedeutung verloren, es ist verblast. Später im Leben kann es dann sein, dass man sich sogar verarscht fühlt, wenn man gelobt wird.

Gleiches gilt für Sofortlob, also egal was man getan hat, das Lob lässt nicht lange auf sich warten. Was sich in so einem Fall einstellt, ist eine Erwartungshaltung und wenn die dann mal nicht erfüllt wird, kommt Wut, Ärger und Frust. Auch später im Leben.  

Denn was hier nicht gelernt werden konnte, ist:

Frustrationstoleranz

Die vermisse ich heute bei einer Vielzahl von Kindern. Und hier kommt das Scheitern mit ins Spiel. Denn wenn jeder noch so kleine Erfolg gleich dazu führt, dass man auf dem Schild durchs Dorf getragen wird und es Konfetti regnet, wie soll man dann auch die fürs Leben so wichtige Fähigkeit des Umgangs mit Scheitern und der so wichtigen Frustrationstoleranz gut lernen? Wie soll man lernen, dass hinfallen … Krönchen richten … daraus lernen … und noch mal versuchen eine der wichtigsten Fähigkeiten ist, die man auf seinem Lebensweg braucht?

Ich habe bei dem Seminar genau das 4 Tage lang mit jeder Menge Spaß erleben dürfen. Wir sollten scheinbar einfache kleine Übungen mit Jonglierbällen machen. Und jeder der schon mal mit diesen kleinen so harmlos aussehen Bällen Bekanntschaft machen durfte, weiß: diese kleinen Dinger haben es echt in sich.

Die Aufgabe war: nimm den gelben Ball in die rechte Hand und den roten in die linke. Wirf die beiden Bälle hoch, überkreuz dann die Hände und fang nun den gelben Ball mit der linken und den roten mit der rechten wieder auf. Klingt einfach. Und ist es nicht.

Ich war überwiegend damit beschäftigt, meine 2 Jonglierbälle wieder vom Boden aufzuheben und mich auf den nächsten Versuch zu konzentrieren. Denn mein Gehirn hatte noch für diese Bewegung noch keinerlei Synapsen auf die es zurückgreifen konnte. Ich musste also scheitern. Aber da das ausprobieren dank unserer Trainerin Dagmar so dermaßen Spaß gemacht hat, klappte es irgendwann … erst einmal … dann wieder nicht … dann mehrmals. Okay … dann wieder nicht. … Und Dagmar ermunterte uns einfach dranzubleiben, nicht aufzugeben und es weiter zu probieren.

Und sie meinte es von Herzen ehrlich. Da war keinerlei gut getarnte Ungeduld … keinerlei gut versteckte Wertung ….

Und das war der nicht nur für mich alles entscheidende Unterschied.

Schon bald war uns allen egal ob einer von uns es schneller oder besser konnte. Jeder war in seine eigene kleine Ausprobierwelt versunken. Wir hörten auf uns zu vergleichen … es ging darum es überhaupt zu tun und auszuprobieren. Und dann … auf einmal … gings. Bei jedem von uns. Die Bälle landeten nicht auf dem Boden, sondern in der beabsichtigten Hand. Dann wurde gejubelt. Und gleich nochmal ausprobiert um die neu gelernte Fähigkeit zu verfestigen.

Selbstbelohnendes Verhalten

Und dadurch wurde es spielerisch zum Selbstbelohnenden Verhalten. Denn durch dieses selber ausprobieren … Scheitern … ermutigt werden … dranbleiben … und irgendwann Erfolg haben, konnten wir im eigenen Tempo unsere Fähigkeiten erweitern.

Dagmar hatte genau das richtige Timing im sich zurückziehen … ermutigen … und die Übung wechseln. Und auch das war beeindruckend am eigenen Leib zu erleben.


Es ging nie um Perfektion

Es ging nie darum, wer als erstes die Hände 10 x wechseln kann ohne dass die Bälle runterfallen. Ganz im Gegenteil. Es ging darum etwas auszuprobieren, was wir alle so noch nie getan haben. Es ging darum kontrolliert zu scheitern und dranzubleiben. Und DAFÜR gelobt zu werden. Nicht für das Meistern der Aufgabe, sondern sich der Aufgabe überhaupt gestellt zu haben.

Denn Selbstbelohnendes Verhalten macht vor allem eins: jede Menge Spaß. Und löst, genauso wie Lob die eben beschrieben Kaskade von chemischen und neuronalen Reaktionen aus. Nur mit dem Unterschied: wir haben diese Kaskade selber ausgelöst.

Unempfänglich für Werbung und Marketing

Wer das gelernt hat, wird unempfänglich für Werbung und Marketing. Denn wer gelernt hat, dass er oder sie dieses Glücksgefühl ganz aus sich selbst heraus selber erzeugen kann, braucht dafür später im Leben kein Produkt, das ihm oder ihr den Kick geben soll.

Nur dafür müssen wir lernen dürfen, wie wir uns dieses Glückscocktail selber erzeugen können. Dafür müssen wir scheitern dürfen und dafür brauchen wir Menschen um uns herum, die mit Frust gut umgehen können, also selber über eine gute Frustrationstoleranz verfügen. Denn nur solche Menschen können unseren Frust aushalten und uns den Raum geben unsere eigene Lösung der Herausforderung zu finden. Und uns dann … aber eben erst dann … von Herzen zu loben.

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