Wie wir diesen Satz in die Wiege gelegt bekommen
„Mir kann eh keiner helfen.“ Diesen arg hoffnungslosen Satz habe ich schon öfter – gerade von Neuklienten – gehört. Und vielleicht kennst du ihn ja sogar von dir selbst. Dieses Gefühl, es allein schaffen zu müssen … Denn da ist die Befürchtung, eh nicht verstanden zu werden … da ist die Ahnung, dass das, was an Hilfe angeboten wird, eh wieder nicht helfen wird …
Also zieht man es lieber gleich vor – getreu dem Motto: bitte nicht helfen, es ist schon schlimm genug – alleine klarzukommen.
So erspart man sich zwar weitere Enttäuschungen, aber man ist halt auch alleine.
Wie dieser Teufelskreis in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen entsteht und wie du ihn heute durchbrechen kannst, darum geht es in diesem Beitrag. In Teil I geht es darum, wie dieser Rückzug in der pränatalen Phase seinen Ursprung haben kann. Und in Teil II, wie spätere Erfahrungen hier Einfluss haben.
Also bleib dran und tauch gemeinsam mit mir in diese im Kern ziemlich faszinierende und clevere Strategie ein. Und am besten abonnierst du auch gleich meinen Kanal, wenn du es nicht eh schon getan hast, um Teil II auf keinen Fall zu verpassen.
Wir alle tragen den „Mir kann eh keiner helfen.“-Satz in unterschiedlichem Ausmaß in uns
Dieser kleine Satz „Mir kann eh keiner helfen.“ hat es bei genauerer Betrachtung echt in sich und viele haben keinerlei Ahnung aus welcher alten Quelle er gespeist wird. Und genau aus diesem Grund lohnt sich die genauere Betrachtung, denn im Kern ist es ein alter Glaubenssatz, den man heute dank des Neuroaffektiven Ansatzes sanft und nachhaltig wieder auflösen kann.
Eine Erkenntnis, die ich aus 15 Jahren in der neuroaffektiven Traumawelt, geschöpft habe: Wir alle tragen den „Mir kann eh keiner helfen.“-Satz in unterschiedlichem Ausmaß in uns. Schließlich haben wir alle irgendwann einmal entlang unserer Lebenslinie die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass entweder Hilfe und Unterstützung tatsächlich nicht da war oder dass die Hilfe, die da war, uns nicht wirklich geholfen hat.
Aber wie kann es sein, dass so eine Erfahrung zu einem Glaubenssatz werden kann? Wie kann es sein, dass wir alle diese Wunde in uns tragen? Die einen mehr, die anderen weniger? Und wie kann es sein, dass wir uns alle im Kern allein, in gewissem Maße alleine gelassen fühlen?
Pränatales Trauma
Dieses Gefühl ist nicht monokausal, hat also nicht einen Auslöser oder einen Grund. Es ist vielmehr ein Potpourri aus einer Vielzahl von Zutaten und die Mischung entscheidet, wie sehr dieser Satz für einen Menschen gilt.
In meinem Weltbild fängt diese Mischung bereits im Mutterleib an sich zusammen zu setzen. Und hier kommt das Thema pränatales Trauma mit ins Spiel.
Denn die Idee der Natur war es, dass wir in der Zeit da im Bauch unserer Mutter vollkommen sicher und rundum versorgt sind, damit unser Körper geschützt heranreifen kann, bis er bereit ist für diese Welt. Wie man heute weiß, geht der Impuls zur Geburt vom Baby aus. Das bedeutet: das Baby sendet einen Botenstoff aus, der dem Körper der Mutter signalisiert: „Ich bin jetzt so weit. Ich will raus. Lass uns loslegen.“
Und heute weiß man auch, wie vulnerabel die Zeit im Mutterleib ist. Heute weiß man, wie viel ein Fötus bereits von der Welt, die ihn oder sie umgibt, mitbekommt. Heute weiß man, wie groß der Einfluss von Stress, Unruhe, Hektik, Streit und von der Mutter erlebtem Trauma ist.
Eine bemerkenswerte Studie unter der Leitung der Wissenschaftlerin Rachel Yehuda, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 durchgeführt wurde, zeigt das.
Sie untersuchte schwangere Frauen, die während der Ereignisse in New York waren, und analysierte die Auswirkungen des erlebten Traumas auf ihre Kinder. Die Ergebnisse zeigten, dass die Babys der betroffenen Mütter bereits bei der Geburt niedrigere Cortisolspiegel aufwiesen – ein typisches Merkmal für posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Diese Veränderungen deuten auf eine biologische Weitergabe von Stressreaktionen hin, die durch epigenetische Mechanismen vermittelt werden, also durch Veränderungen in der Genregulation.
Besonders auffällig war, dass die Effekte stärker ausgeprägt waren, wenn die Mütter im dritten Trimester der Schwangerschaft dem Trauma ausgesetzt waren. Dies zeigt, wie empfindlich das ungeborene Kind auf extreme Stresssituationen der Mutter reagieren kann.
Rachel Yehuda und ihr Team begleiteten die betroffenen Mütter und Kinder auch langfristig. Sie fanden heraus, dass die Kinder nicht nur bei der Geburt, sondern auch später eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Stress zeigten. Außerdem bewerteten die Mütter ihre Babys als reizbarer und sensibler gegenüber neuen Reizen. Diese Ergebnisse unterstreichen, wie tiefgreifend die Auswirkungen von Trauma auf die nächste Generation sein können – sowohl auf biologischer als auch auf psychologischer Ebene.
Die Forschungsergebnisse wurden in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht und geben uns wichtige Einblicke in die transgenerationale Weitergabe von Trauma.
Nur weiß man heute auch, dass es nicht etwas so dramatisches, wie einstürzende Türme braucht, um schon bei einem Neugeborenen zu einem veränderten Cortisolspiegel zu führen.
Aus der Sicht eines Fötus
Um nachvollziehen zu können, was hier alles einen Einfluss habe kann, muss man ein bisschen den Blickwinkel wechseln und aus der Sicht eines Fötus schauen:
Wie ich schon sagte, ist es die Idee der Natur, dass wir in der Zeit da im Bauch unserer Mutter vollkommen sicher und rundum versorgt sind, damit unser Körper geschützt und in aller Ruhe heranreifen kann. Anfangs, noch umgeben von jeder Menge Fruchtwasser ist da noch viel Platz und alles wird durch das Wasser gedämpft. Alles ist gut und wir erleben uns als zutiefst verbunden. Ein wahrlich paradiesischer Zustand. Es wird optimal für uns gesorgt, wir müssen uns um nichts kümmern, wir dürfen einfach sein und sind im wahrsten Sinne des Wortes im Flow.
Nur hat ein Fötus kaum Kapazität mit jeder Form von Störung seines kleinen Paradieses umzugehen und je enger es im Bauch wird, umso mehr Reize von außen bekommt das werdende Menschlein halt auch mit. Das unreife System ist halt noch nicht resilient genug und braucht immer wieder Phasen der Ruhe und Entspannung, um sich wieder beruhigen und entspannen zu können. Hat es diese Phasen – aus welchen Gründen auch immer nicht oder zu wenig – kann das sogar existentiell werden.
Dieses Fehlen hat dann zur Folge, dass das kleine Wesen sich da im Bauch nicht wirklich sicher fühlen kann. Die Urinformation ist dann: „Ich bin nicht sicher in der Welt. Ich kann mich nicht entspannen, denn das wäre zu gefährlich. Und niemand hilft mir. Ich muss das alleine lösen.“
Natürlich ist einmal Türen knallen … einmal den Bus nicht bekommen … oder sich mal wieder im Büro über den Chef ärgern hiermit nicht gemeint.
Ich spreche von einer streit- oder vielleicht sogar gewaltgeprägten Atmosphäre, die das Nervensystem der Mutter immer wieder in Aufruhr versetzt. Ich spreche von einem die Mutter belastenden Todesfall eines wichtigen Menschen oder einem Unfall, den die Mutter in der Schwangerschaft erlebt. Ich spreche von finanziellen Sorgen … einer Trennung … Kündigung … einem unerwarteten Umzug … einem Krankenhausaufenthalt …
Alles, was für den Körper der Mutter zu viel ist, ist auch für den Fötus zu viel.
Denn über die Nabelschnur bekommt er den Stresspegel der Mutter mit. Er spürt die Muskelanspannungen … spürt die Unruhe … spürt die Bewegungen.
Nur: was kann ein Fötus schon tun? Von den drei in uns schon pränatal angelegten Impulse von Flucht, Angriff und Erstarren fallen die beiden ersten per se weg. Bleibt also das Erstarren. Der Fötus bewegt sich weniger. Er wird still. Und er wird oft erst wieder aktiver, wenn die Mutter ruhiger wird. Was irgendwie logisch ist, denn dann kann er sich ohne all die Störungen von außen freier bewegen. Nur ist das ein Teufelskreis, denn wenn eine – aus welchen Gründen auch immer – gestresste Mutter die Bewegungen in ihrem Bauch spürt, geht sie meistens auch wieder in Bewegung.
Auf diese Weise kann hier bereits der im Körper gespeicherte Glaubenssatz „Wenn ich mich zeige, tut mir das nicht gut“ geprägt werden.
Niedriger Cortisolspiegel
Und es werden hier auch die Weichen gestellt für den bereits bei der Geburt messbaren niedrigen Cortisolspiegel:
Denn ein niedriger Cortisolspiegel wird heute mit dem Reflex des Erstarrens in Verbindung gebracht. Cortisol ist ein zentrales Stresshormon, das den Körper normalerweise auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Ein Organismus, der schon als Fötus gelernt hat, dass beides keine Option ist, dem fällt diese Aktivierung auch im späteren Leben schwer. Es ist leichter, in den bewährten alten Schutzmodus zu schalten, also zu Erstarren und sich zurückzuziehen, anstelle die Kraft aufzubauen und aktiv um Hilfe zu bitten.
Die gute Nachricht
Die Kampf- und Fluchtimpulse sind aber nicht weg. Sie haben dem einzig möglichen Impuls des Erstarrens nur den Vortritt gelassen. Und damit haben sie instinktiv das Überleben gesichert.
Diese Zusammenhänge zeigen wie viel Weisheit uns die Natur mit in unsere Serienausstattung gepackt hat. Sie hat uns alles Rüstzeug was wir brauchen gleich von Anfang an in die Wiege gelegt.
Wie Peter Levine, der Begründer von Somatic Experiencing so treffend sagt:
„Trauma gehört zum Leben dazu. Traumabewältigung auch.“
Ich persönlich finde es zutiefst faszinierend und hoffnungsvoll – auch aus eigener Erfahrung – zu wissen, dass die Kampf- und Fluchtimpulse nicht weg sind, sondern in uns nur darauf warten wieder ihren Platz einnehmen zu dürfen.
Pränatale Forschung
Dass sie schon pränatal da sind, ist ein faszinierendes und oft diskutiertes Thema in der pränatalen Forschung. Denn es wurde beobachtet, dass Föten während einer Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) auf die eingeführte Nadel reagieren. In einigen Fällen versuchen die Föten, sich von der Nadel wegzubewegen, was als eine Art Fluchtreaktion interpretiert wird. Diese Beobachtung wurde durch Ultraschallaufnahmen dokumentiert, bei denen zu sehen ist, wie sich die Föten aktiv wegdrehen oder in eine andere Position bringen.
Die Reaktion der Föten wird oft als Hinweis darauf gewertet, dass sie bereits auf Reize reagieren können, die potenziell als bedrohlich wahrgenommen werden. Es zeigt, dass Föten in einem bestimmten Stadium der Entwicklung über eine sensorische Wahrnehmung verfügen und möglicherweise sogar eine Art Schutzmechanismus aktivieren.
Wissenschaftlich betrachtet ist die Frage, ob dies ein instinktives Verhalten oder eine reflektorische Reaktion auf Berührung ist, noch nicht vollständig geklärt. Es gibt Hinweise darauf, dass ab etwa der 20. Schwangerschaftswoche das zentrale Nervensystem des Fötus weit genug entwickelt ist, um sensorische Reize wie Druck oder Berührung wahrzunehmen. Einige Forscher gehen davon aus, dass dies eine Art Überlebensmechanismus sein könnte, der bereits vor der Geburt aktiviert wird.
Interessanterweise wird dieses Verhalten oft in den Kontext von pränatalem Stress oder Trauma gestellt, weil es zeigt, wie sensibel Föten für äußere Einflüsse sein können. Es untermauert die Idee, dass Erlebnisse oder Umweltfaktoren vor der Geburt eine wichtige Rolle in der Entwicklung spielen.
Was hat nun all das mit dem Satz „Mir kann eh keiner helfen.“ zu tun?
Vielleicht ahnst du es schon.
Wenn wir bereits den Ort, wo wir eigentlich die am besten behütete Zeit unseres gesamten Lebens verbringen sollten, als unsicher erleben, macht das etwas mit uns. Diese frühen Erlebnisse prägen uns zutiefst, denn der Fötus speichert diese Erfahrung im Körper. Das, was wir als Verstand bezeichnen, ist ja noch nicht ausgebildet. Daher verstehen sich Menschen, die pränatales Trauma erlebt haben, auch selbst so oft nicht. Sie verstehen das innere Chaos und all die scheinbar widersprüchlichen Impulse in ihrem Inneren nicht. Alles geht schnell und ist viel zu schnell. Vieles erscheint unlogisch, nicht stimmig oder angemessen.
Und wenn wir uns schon selbst nicht verstehen können, wie soll es dann ein anderer tun? Wie soll uns ein anderer helfen, wenn unsere inneren Zustände sich in Bruchteilen von Sekunden verändern?
Daher kommt kognitive Verhaltenstherapie oder Psychoanalyse hier auch an ihre Grenzen. Diese so früh im Körper gespeicherten Prozessen erreicht man so nicht, ganz im Gegenteil, man kann es sogar noch schlimmer machen. Denn wenn die zugrunde liegenden Dynamiken des Nervensystems nicht mit adressiert und in die Arbeit integriert werden, verstärkt das das Gefühl nicht verstanden zu werden … wieder nicht verstanden zu werden … wieder keine Hilfe zu bekommen … es wieder alleine hinbekommen zu müssen.
Gerade für Menschen, die pränatales Trauma erlebt haben, ist das NARM-Modell von Dr. Laurence Heller ein Segen. Und das sage ich aus tiefstem Herzen, denn ich durfte es selbst erleben. Viele Jahre hat der Satz „Mir kann eh keiner helfen.“ mein Leben geprägt. Ich habe mich – bis ich NARM kennenlernte – zutiefst unverstanden gefühlt und meine mir damals nicht bewusst zugängigen Angriffs- und Fluchtimpulse haben mir und meiner Umgebung das Leben schwer gemacht, denn ich konnte sie damals größtenteils nicht kontrollieren. Ich war impulsiv und intensiv.
Heute habe ich Zugang zu diesen damals verschüttet gegangenen urmenschlichen Impulsen und kann sie steuern. Heute habe ich innerlich die Wahl, wie ich auf eine Situation reagiere wohingegen ich mich früher wie der Spielball in einem Flipperautomaten gefühlt habe.
Was mich heute zutiefst berührt, ist, dass der Mensch trotz all dem nicht aufhört zu suchen. Trotz all den Enttäuschungen entlang des Weges sucht er weiter.
Du liebe Leserin, lieber Leser bist der lebende Beweis dafür. Denn du hast jetzt nicht nur den Podcast bis hier hin gehört. Du hast ihn überhaupt erst einmal gefunden. Und das beweist, dass folgender Satz von Dr. Laurence Heller zutiefst wahr ist:
„In uns allen gibt es eine Kraft, die spontan nach Kontakt, Gesundheit und Lebendigkeit strebt.
So sehr wir uns zurückgezogen und isoliert haben oder so gravierend das erlebte Trauma auch sein mag – auf der tiefsten Ebene gibt es in jedem und jeder von uns einen Impuls in Richtung In-Verbindung-Sein und Heilung, vergleichbar damit, wie die Pflanze spontan dem Sonnenlicht entgegenwächst.
Dieser organismische Impuls ist die Antriebskraft der NARM-Arbeit.“
Im 2. Teil diese kleinen Reihe wende ich mich dem möglichen Ursprung des „Mir kann eh keiner helfen.“-Satzes im späteren Leben zu. Denn gerade wenn es um das Bekunden unserer Bedürfnisse und das Entdecken unserer Autonomie geht, zeigt sich, ob wir die Interaktion mit unserer Umgebung als hilfreich und unterstützend oder als behindern und verunmöglichend erleben.