Die Sprache unseres Körpers wieder verstehen (lernen)
Wie schon bei Teil 1 dieser kleinen Serie sitze ich auch jetzt, wo dieser Podcast entsteht, wieder vor meinem Camper am Meer – mittlerweile auf Fuerteventura, der vorletztes Station unseres Überwinterungsquartiers.
In Teil 1 ging es darum, welchen Einfluss Trauma auf unser Nervensystem und damit die Kapazität zu Leidenschaft und Begeisterung für eine Sache hat.
Jetzt in Teil 2 spreche ich darüber, warum wir Menschenkinder die Wellen des Lebens am liebsten vermeiden würden … mache einen kleinen Abstecher ins Thema Sucht … und dann geht es darum, dass wir alle wieder mehr einen Zugang zu unserem Körper brauchen. Und natürlich was Trauma mit all dem zu tun hat.
Ein kleiner Abstecher in die Neurobiologie
Fangen wir die Frage, warum wir Menschenkinder die Wellen des Lebens am liebsten vermeiden würden, mit einem kleinen Abstecher in die Neurobiologie an.
Unser Gehirn liebt Kohärenz.
Kohärenz ist der Zustand, wenn alles passt. Wenn unsere Gedanken, Emotionen und Empfindungen im Einklang sind, wenn wir uns verbunden, sicher und im stimmigen Kontakt mit uns selbst und unserer Umgebung erleben.
Nur: wann passt schon mal alles?
Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Denn unser Gehirn versucht um Energie zu sparen permanent den Zustand der Kohärenz herzustellen. Und vielleicht ahnst du es schon: je weniger es stimmt, um so mehr rödelt unser Gehirn … muss es rödeln … um es irgendwie wieder wenigstens im Ansatz stimmig zu machen.
Gelingt das unserem Gehirn nicht, hat die Natur uns eine im Kern sehr nützliche Gabe in die Wiege gelegt: die Fähigkeit zu dissoziieren. Dann beamen wir uns weg. Dann greifen wir zum Handy … trinken ein Glas Wein … gehen joggen … lösen Sudokus … Und entkommen – wenigstens für eine Weile – unserem inneren Chaos.
Wir können nicht ewig vor uns selbst davonlaufen.
Nach dem Handy … nach dem Glas Wein … nach dem Joggen … nach dem Sudoku sind die Wellen in uns nach wie vor da. Sie sind für eine Weile in den Hintergrund getreten. Ja. Dafür sorgen diese Strategien. Aber sie verändern die Wellen in uns nicht.
Und Ja, ich kenne den Spruch: „Wein löst keine Probleme, aber das tut Milch auch nicht.“ Und da ist viel Wahres dran. Nur haben alle diese kleinen und großen Süchte eines gemeinsam: sie lindern kurzfristig und verschlimmern langfristig.
Und hier wird deutlich, wie stimmig das Bild mit der Welle ist: wenn zu viele kleine Wellen zusammenkommen, braut sich was zusammen. Dann steigt der innerliche Druck und dann hilft die aktuelle Dosis nicht mehr. Dann brauchen wir mehr, um wenigstens wieder in die Nähe eines kohärenten Zustandes zu kommen.
Garbor Maté
Garbor Maté zeigt mit seiner Arbeit den Zusammenhang zwischen Sucht und Trauma eindrücklich und auf eine zutiefst berührende Art wertfrei auf. Solltest du seine Arbeit und seine Videos – hier vor allem den Film „The wisdom of trauma“ – noch nicht kennen, kann ich dir nur sehr ans Herz legen, das bald zu ändern. Google einfach Garbor Mate oder frag ChatGPT und du wirst einen Menschen entdecken, der die in Trauma verborgene Weisheit wahrlich in seiner Tiefe verstanden hat.
Je mehr wir Menschen uns für diese Weisheit öffnen – und jede Welle des Lebens ist hier eine potenzielle Eingangstür – um so kohärenter wird unser Leben.
Je mehr wir lernen die Sprache der Wellen in unserem Nervensystem zu verstehen, um so ruhiger wird es in unserem Leben.
Ja, ich weiß. Das klingt paradox. Und auch ein bisschen nach Masochismus. Da soll ich NICHT dem Impuls des Gehirns nachgeben und mir durch Handy, Wein & Co. Entspannung und eine kleine Auszeit von meinem inneren Chaos gönnen, sondern mich stattdessen dem Chaos auch noch zuwenden und es mir anschauen?
Handy, Wein & Co.
Was soll das bringen? Warum soll ich Zeit und Geld in etwas investieren, was ein Glas Wein innerhalb von ein paar Minuten schafft? Was soll daran sinnvoll sein? Geht doch auch so.
All diese Einwände kenne ich – auch von mir selbst. Ich selbst habe mich viele Jahre abends nach einem aufwühlenden Tag mit einem Glas Wein runtergedimmt. Dieses Gefühl, wenn der Scheiß-egal-Modus einsetzt, war einfach gut. War, denn seit mittlerweile 1,5 Jahren trinke ich keinen Tropfen Alkohol mehr. Ich wollte mich nicht mehr runterdimmen. Ich wollte mich nicht mehr vernebeln. Ich wollte den Wellen des Lebens in mir nicht länger ausweichen.
Ich wollte mich nicht mehr selbst bescheißen.
Ja, ich kenne die „Was ist denn schon dabei, wenn man abends ein Glas Wein trinkt, um runterzukommen?“-Frage. Ich kenne sie, wie gesagt, von mir selbst.
Ich merke gerade, dass ich mich jetzt entscheiden muss, ob ich weiter an dem Thema Sucht dranbleibe oder wieder zurückkehre zum Eingangsthema, wie wir die Sprache unseres Körpers wieder verstehen lernen können.
Ich lasse das Thema Sucht für heute ruhen und greife es in einem späteren Podcast wieder auf. Aber vielleicht konnte ich mit dem kleinen Abstecher ein bisschen neugierig auf die Zusammenhänge von Vermeidung und Sucht machen und du googelst Gabor Mate.
Ich mag den Faden bei folgendem Satz wieder aufgreifen:
Je mehr wir lernen die Sprache der Wellen in unserem Nervensystem zu verstehen, um so ruhiger wird es in unserem Leben.
Was meine ich damit?
Unser Körper produziert diese Welle im Nervensystem nicht um uns den Tag zu vermiesen. Er ist nicht der Feind, dem wir ausgeliefert sind und dem wir nur durch den Tod entkommen können.
Ja, manchmal kann es sich so anfühlen. Aber dem ist nicht so.
Unser Körper versucht mit uns zu kommunizieren. Er spricht mit uns. In seiner Sprache und das ist die Sprache der Empfindungen und Emotionen.
Die Sprache der Empfindungen und Emotionen
Nur haben wir in unserer verkopften, auf Leistung ausgerichteten Welt verlernt, diese Sprache zu verstehen.
Wir kriegen zwar den Kloß im Hals … das Herzrasen … das Rauschen in den Ohren … das flaue Gefühl im Magen … die klammen Hände … und die wackeligen Knie mit. Wir haben vielleicht auch eine Ahnung, was der Auslöser ist. Aber das meistens nur, weil es irgendwie logisch ist. Ein bevorstehendes schwieriges Gespräch … eine Prüfung … nach einem Streit … okay … fair enough. Da kann man nachvollziehen, warum es einem gerade mulmig ist.
Aber was bitte soll der blöde Nebel im Kopf … gepaart mit Wortfindungsstörungen … wenn man die Einladung bekommt über sein Herzblutthema zu sprechen?
Warum wird einem ganz flau im Magen, wenn man nur daran denken, dass man am Abend ein Date hat?
Und warum haben wir ecklig schwitzige Hände und bekommen rote Flecken im Gesicht, wenn wir beim Vorstellungsgespräch für den Traumjob im Gang darauf warten hereingebeten zu werden? Wohl wissend, dass beides nicht gut ankommen wird.
Auf diese Wellen könnten wir dankend verzichten.
Und doch sind sie da.
Und erzeugen in uns ein Gefühl der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins und machen uns irgendwie auch wütend. Nur hilft all das nicht. Davon gehen die Flecken im Gesicht auch nicht weg. Eher im Gegenteil.
Was also tun?
Gerade Kopfmenschen wollen meine Antwort jetzt sicherlich nicht hören und/oder können sich selbst wenn sie es wollen würden, nicht vorstellen, dass und wie das helfen soll.
Wir müssen wieder lernen, unseren Körper zu verstehen und seinen Impulsen zu vertrauen und ihnen zu folgen.
Wieder, denn wir Menschen konnten das mal. Ist aber schon lange her, sehr lange. Das war, bevor der Körper als Sünde und sündig deklariert wurde. Das war, bevor wir irrtümlich den Verstand über den Körper gestellt haben.
Ich habe hierzu übrigens so meine ganz eigene Theorie. Denn ich glaube, dass die Menschen, die das damals federführend und prägend getan haben, selber traumatisiert und von ihren eigenen Körpern überfordert waren. Heute weiß man, dass sich in den Intellekt zu retten, ein Bewältigungsmechanismus ist, um sich von dem Chaos im Körper und dem damit verbundenen unguten Gefühl der Hilflosigkeit abzuschneiden. Ist man dann darauf sogar noch stolz und macht dadurch aus diesem Bewältigungsmechanismus eine Tugend die man laut proklamiert, fühlt man sich weniger hilflos. Aber das nur kurz am Rande.
Falls du zu diesem Gedanken ein wenig mehr Input haben möchtest, empfehle ich dir das Buch „Das Zeitalter der Vampire“ von Dr. Ansgar Rougemount-Bücking. Solltest du dir das jetzt nicht merken können – oder wollen – kein Problem. Ich schreibe den Titel in die Podcastbeschreibung.
Aber wieder zurück zu dem, was wir mal konnten und nur verlernt haben.
Wieder im Einklang mit Mutter Natur
Damals, und das ist wie gesagt sehr lange her, waren wir im Einklang mit Mutter Natur. Und damit mit uns, denn wir sind ein Teil von Mutter Natur. Ich sage nicht, dass damals alles besser war. Wahrlich nicht. Damals gab es für die Menschheit ganz andere Herausforderungen, die wir so heute nicht mehr haben. Und auch hier will ich gar nicht tiefer ins Detail gehen. Hier kannst du deine eigenen Gedanken und Überlegungen wenn du magst selber ein wenig auf die Reise schicken.
Mir geht es vielmehr darum klar auszusprechen: wir Menschen können jederzeit wieder wieder lernen, die Sprache unseres Körpers zu verstehen und so leichter die Wellen des Lebens aktiv und bewusst zu reiten. Das können wir uns nicht nur vorstellen, das können wir nur fühlen. Und dafür brauchen wir unsere Körper. Dafür brauchen wir wieder einen Zugang zu der Sprache unseres Körpers, denn der kann uns wie ein Seismograf durch diese Welle manövrieren. Wenn wir verstehen, was er uns sagt.
Wenn wir seine nonverbalen Signale verstehen können, ihnen vertrauen und dann das Puzzle aus Empfindungen, Emotionen und Gedanken für uns stimmig zusammensetzen können.
Das Gefühl von Kohärenz als Maß der Dinge
Also wenn wir das Gefühl von Kohärenz zum Maß der Dinge machen und nicht eine Excel-Datei.
Die Unterscheidung „Angenehm – unangenehm“ ist hier schon mal ein guter Schritt in die richtige Richtung.
Und ich wiederhole mich an dieser Stelle gerne: wir haben verlernt, auf unser Bauchgefühl zu hören. Wir wissen überwiegend nicht, was der uns sagt und wie wir das, was er sagt, in unserem Leben umsetzen. Wir müssen – oder richtiger ausgedrückt – das dürfen wir erst wieder lernen und das gelingt nur zu einem sehr kleinen Teil indem wir Bücher lesen, Videos schauen oder Podcasts hören.
Hier können wir uns Impulse holen, die uns neugierig machen und uns in Bewegung setzen. Hier können wir uns inspirieren lassen. Und ich hoffe, dass mir das mit meinen Podcasts gelingt.
Aber die eigentliche Veränderung, das eigentliche Zurückerobern findet im stimmigen zwischenmenschlichen Kontakt statt. Wir brauchen für die ersten Schritte in ein kohärentes Leben ein Gegenüber, dass uns anfangs, wie eine Art Dolmetscher hilft, die Sprache unseres Körpers überhaupt erst einmal wahrzunehmen. Ein Gegenüber, dass uns auf all die kleinen, feinen … und häufig sehr subtilen Signale … aufmerksam macht. Ein Gegenüber, dass unseren eingerosteten Blick schult.
Genau das ist es, was in den Neuroaffektiven Trainings, wie Somatic Experiencing (kurz SE) genannt oder NARM, dem Neuroaffektiven Relationalen Modell von Dr. Laurence Heller und schon bald in meiner Trauma-Schule geschult wird.
Hier lernen Menschen, die mit Menschen arbeiten sich in den Dienst der Forschungsreise ihrer Klientin oder ihres Klienten zu stellen. Ohne es besser zu wissen, ohne zu deuten oder einer eigenen Agenda zu folgen. Denn das würde das Entdecken der Sprache des eigenen Körpers verunmöglichen. Hier braucht es ein neugieriges und offenen Ohr und eine eingestimmte Begleitung, um selbst entdecken zu können, wie wundervoll es ist, dem eigenen Körper zu lauschen, ihn zu verstehen und wie gut es sich anfühlt, wenn daraus Handlungen entstehen. Handlungen die einem ureigenen Impuls entsprechen. Denn nur die haben Kraft und damit die Tragfähigkeit, nachhaltig zu sein.
Da mag ich es für den Moment lassen. Und mich in Teil 3 den beiden größten Gegenspielern der Kohärenz widmen: Angst und Scham. Denn kaum etwas anderes kommt unserer Kapazität die Wellen des Lebens zu reiten und unserem Körper zu lauschen so in die Quere wie Angst und Scham.