Wenn Eltern sich schämen

Über Versagen, transgenerationale Traumata und neue Wege der Heilung

In dieser Podcastfolge spreche ich über einen Punkt, den viele Menschen auf ihrem Weg der Selbsterkenntnis irgendwann erreichen – und der oft besonders weh tut: Die Erkenntnis, dass wir als Eltern an bestimmten Stellen nicht das geben konnten, was unsere Kinder gebraucht hätten. Dass wir – in den Augen unserer Kinder, manchmal auch in unseren eigenen – versagt haben.

Und ja, ich benutze dieses Wort ganz bewusst. Weil es für viele genau das trifft, was sie empfinden. Und zugleich möchte ich es gleich einordnen: Es geht mir in dieser Folge nicht um Schuld. Sondern um die Möglichkeit, durch ein tieferes Verstehen zu einem neuen Mitgefühl mit uns selbst zu kommen – und mit dem Kind, das wir einst waren. Und mit dem Kind, das wir erzogen haben.

Die Scham, die Eltern lähmt – und die Kinder zurücklassen kann

Ich erlebe in meiner Arbeit mit Eltern, dass die Erkenntnis des eigenen „Versagens“ – sei es im Kontakt mit den Kindern, mit dem Partner, mit den eigenen Bedürfnissen – häufig mit Scham verbunden ist. Und Scham ist eine der lähmendsten und gleichzeitig tief sitzendsten Emotionen, die wir kennen.

In der Skala des Bewusstseins nach Dr. David Hawkins, die ich sehr schätze und die du auch auf meiner Website zum Gratis-Download findest, liegt Scham auf der untersten bewussten Ebene: bei 20 von 1000. Liebe hingegen liegt bei 500. Und wenn wir Eltern uns in der Scham verlieren, ist es uns oft gar nicht mehr möglich, in liebevollem Kontakt zu sein – weder mit uns selbst, noch mit unseren Kindern.

Ich mag dich heute einladen, deinen Blick zu heben. Weg von der Scham, hin zu mehr innerer Klarheit. Denn so schmerzhaft diese Erkenntnis über mögliche eigene Versäumnisse auch ist – sie ist auch der erste Schritt in Richtung Heilung.

Was bedeutet eigentlich „Versagen“ – und aus wessen Sicht?

Das Wort „Versagen“ stammt ursprünglich aus der Bindungsforschung. Es beschreibt Momente, in denen Eltern nicht angemessen auf die körperlichen oder emotionalen Bedürfnisse ihrer Kinder reagieren konnten. Aber dieses Wort trifft uns, wenn wir es auf uns beziehen, wie ein Schlag. Es klingt nach Endgültigkeit, nach Schuld, nach Scheitern.

Ich möchte es deshalb differenzieren. Aus Sicht der Eltern ist es oft ein sehr hartes Wort. Denn viele Eltern geben ihr Bestes – und tun das aus einem inneren Ort heraus, der selbst wenig Halt erfahren hat. Sie reagieren aus Prägung, aus Stress, aus alten Mustern. Nicht, weil sie ihre Kinder nicht lieben.

Aber aus Sicht des Kindes, insbesondere eines Säuglings oder Kleinkinds, das angewiesen ist auf Resonanz, Schutz und Halt, fühlt sich dieses „Nicht-Gesehen-Werden“ eben an wie ein Versagen der Welt. Wenn das Weinen unbeantwortet bleibt, wenn niemand da ist, wenn ein Elternteil in seiner eigenen Not gefangen ist – dann entsteht in der kindlichen Seele oft der Eindruck: Mit mir stimmt etwas nicht. Ich bin zu viel. Ich bin falsch.

Und genau da liegt das Dilemma: Kinder machen das Versagen ihrer Umgebung zu ihrem eigenen. Und das ist eine der tiefsten Wurzeln von Scham – und damit auch von Entwicklungstrauma.

Warum es so wichtig ist, das kindliche Erleben ernst zu nehmen

In meiner Arbeit ist es mir deshalb ein zentrales Anliegen, dem kindlichen Erleben seinen Platz zu geben – ohne Eltern zu beschuldigen. Denn nur wenn wir anerkennen, wie tief der Schmerz des Kindes ist, wie bedrohlich es sich angefühlt hat, allein zu sein in der Not, können wir auch würdigen, wie groß die Leistung des Nervensystems war, damit überhaupt weiterzuleben.

Ich sage oft: Es geht nicht darum, Schuldige zu finden. Es geht darum, nachzunähren, was gefehlt hat. Und dafür brauchen wir zuerst einen inneren Boden – und dieser Boden entsteht durch Wahrhaftigkeit.

Es ist heilsam, ehrlich zu benennen: Da war niemand, der mich gespiegelt hat.
Da war niemand, der mein Weinen ernst genommen hat.
Da war niemand, der mich emotional halten konnte.

Nicht, weil wir unsere Eltern anklagen wollen. Sondern weil das innere Kind diesen Satz manchmal seit Jahrzehnten in sich trägt – und niemand hat ihm je geglaubt.

Wenn die Geschichte sich wiederholt – transgenerationale Muster verstehen

An dieser Stelle lade ich dich ein, ein wenig mit mir in die Geschichte zu reisen. Ich erzähle in dieser Folge die Geschichte eines Vaters, der traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrt. Ein Kind fällt in seiner Gegenwart vom Fahrrad, beginnt zu weinen – und der Vater reagiert unangemessen. Nicht, weil er böse ist. Sondern weil er einen Flashback hat. Weil das Weinen des Kindes ihn zurückkatapultiert in den Schützengraben. Weil sein System in Alarm geht.

Das Kind aber versteht das nicht. Es lernt: Ich darf nicht weinen. Ich muss stark sein. Weicheier werden abgewertet.
Und es trägt diese Botschaft weiter – möglicherweise bis in die nächste Generation. Und reagiert vielleicht Jahre später selbst auf das Weinen seines eigenen Kindes mit einem Unverständnis, das ihm selbst nicht bewusst ist.

Und genau so entsteht transgenerationales Trauma. Nicht durch einzelne Ereignisse – sondern durch die Wiederholung von unbewussten Reaktionsmustern, die nie verstanden und nie aufgelöst wurden.

Heilung ist möglich – in zwei Richtungen

Die gute Nachricht: Diese Muster lassen sich unterbrechen. Es ist möglich, neue Wege zu gehen – und das sogar in beide Richtungen:

  1. Indem wir uns selbst und unsere Prägungen anschauen.
  2. Und indem wir im Kontakt mit unseren Kindern neue Erfahrungen ermöglichen.

Und dafür braucht es keine langen Erklärungen. Ein Kind spürt, wenn sich etwas verändert. Es merkt, wenn es leichter wird. Wenn Nähe möglich wird. Wenn gespielt wird. Wenn echte Freude wieder durchkommt.

Viele Eltern fragen mich: Soll ich mit meinem Kind über all das sprechen?
Meine Antwort ist meist: Nicht unbedingt. Es reicht oft, wenn sich der Kontakt verändert. Wenn das Nervensystem des Kindes wieder spürt: Ich werde gesehen. Ich werde gehalten.

Und ja, es ist möglich – auch mit erwachsenen Kindern. Auch wenn es dann manchmal etwas komplexer wird. Denn da sind oft viele Missverständnisse, viel Misstrauen. Aber gerade deshalb lohnt es sich so sehr, dranzubleiben.

Vielleicht war alles Teil eines größeren Plans?

Zum Ende dieser Folge werde ich ein wenig spiritueller als sonst. Ich teile mit dir eine Hypothese, die mich immer wieder berührt – und die ich gerne Eltern mit auf den Weg gebe, die mit ihrer eigenen Scham ringen:

Was, wenn unsere Kinder uns gewählt haben?
Was, wenn dein „Versagen“ Teil eurer Seelenabmachung war?
Nicht als Ausrede. Nicht um Schmerz zu relativieren. Sondern um einen anderen Blickwinkel zu öffnen.

Ich selbst habe keine Kinder. Und manchmal denke ich, vielleicht ist auch das kein Zufall. Vielleicht bin ich genau deshalb in der Lage, Eltern in ihrer tiefen Scham wirklich zu begegnen – ohne in meiner eigenen verwickelt zu sein. Vielleicht ist das mein Platz in diesem großen System.

Und ich glaube zutiefst:
Jede Generation hat die Chance, etwas heiler zu werden.
Und jedes Kind ist eine Einladung an uns Erwachsene, tiefer zu fühlen, ehrlicher zu werden – und wirklich zu lieben.

Teilen ist heilen

Wenn dich diese Folge berührt hat, wenn du gerade mitten in diesem Prozess bist oder Erfahrungen teilen magst – schreib mir gerne. In den Kommentaren oder persönlich.
Denn wie Silke Schäfer sagt: Teilen ist heilen.

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