Die Angst willkommen zu sein

Immer wenn wir mit einer großen Sehnsucht in Kontakt kommen, begegnen wir auch einer großen Angst. Wäre dem nicht so, würden wir nicht sehnsüchtig sein – wir würden einfach handeln. Eine der tiefsten menschlichen Sehnsüchte ist es, willkommen zu sein – ohne Vorbehalte, mit offenen Armen empfangen zu werden, und das allein um unserer selbst willen. Doch wir alle tragen Erinnerungen an das Gegenteil in uns.

Die Angst vor Zurückweisung

Darum schwingt – mal mehr, mal weniger – immer eine Angst vor Zurückweisung mit, wenn wir überlegen, jemanden anzurufen und z. B. nach einem gemeinsamen Kaffee zu fragen. Um dieses Zusammenspiel von Sehnsucht und Angst geht es in diesem Podcast. Es geht um die inneren Dialoge, die wir führen, um ihre Ursprünge – und darum, wie wir dem eigenen Kopfkino Einhalt gebieten können.

Was passiert, wenn wir uns selbst ausbremsen?

Lass uns mit einem ganz alltäglichen Beispiel beginnen: Du hast Lust, dich mit jemandem zu treffen, greifst zum Handy und scrollst durch deine Kontakte. Schon beginnt das Gedankenkarussell:

  • „Paul brauche ich nicht anrufen, der hat eh keine Zeit.“
  • „Bettina hat Kinder.“
  • „Sabine hat einen neuen Freund und ist bestimmt verplant.“

Zu fast jedem Namen entsteht eine kleine Geschichte. Und je weiter du scrollst, desto schwerer wird es innerlich – vielleicht wirst du sogar gereizt oder traurig. Am Ende sitzt du am Wochenende mit Tee und dicken Socken allein auf dem Sofa. Und wärst doch eigentlich gern woanders – mit jemandem zusammen.

Woher kommt dieses Zögern?

Diese Dynamik kennen viele. Und ja, Paul, Bettina und Co. haben vielleicht tatsächlich mal abgesagt. Doch es sind nicht nur diese aktuellen Erfahrungen, die uns zögern lassen. Da steckt mehr dahinter.

Warum rufen wir nicht einfach an? Was hindert uns wirklich daran? Vielleicht hätte Paul ja diesmal Zeit. Vielleicht hat Bettina einen Babysitter. Vielleicht wäre es sogar ein wunderbarer Abend. Doch statt zu handeln, bleiben wir stecken – in Gedanken, Zweifeln und alten Geschichten.

Wenn Energie blockiert wird

Spannend ist es, diesen inneren Dialog zu verlangsamen und genauer zu betrachten. Denn wenn du den Impuls hast, jemanden anzurufen, ist da Energie in Bewegung. Da will etwas fließen. Doch dann kommen Zweifel – und die Energie stockt.

Energie kann nicht stillstehen. Sie fließt dann in Selbstzweifel, innere Kritik und Kopfkino – bis sie sich im schlimmsten Fall in einem Gefühl der Ohnmacht oder Unzufriedenheit auflöst.

Strategien gegen innere Unruhe

Um mit dieser Unruhe umzugehen, greifen wir oft zu unbewussten Strategien:

  • Die anderen sind schuld: „Die haben nie Zeit“, „Die melden sich nie.“
  • Ich bin schuld: „Ich bin zu anstrengend“, „Ich bin nicht interessant genug.“

Beides sind Schutzmechanismen, um mit der Enttäuschung nicht in Berührung zu kommen. Aber sie führen selten wirklich zu innerem Frieden.

Den Moment dekonstruieren

Deshalb lade ich dich ein: Dekonstruiere diesen Moment.

Übe das wie eine Trockenübung: Stell dir vor, du würdest jemanden aus deiner Kontaktliste anrufen – einfach so, nach langer Zeit. Nicht wirklich anrufen – nur innerlich durchspielen. Was passiert in dir? Welche Gedanken, Zweifel, Ängste tauchen auf?

Und dann frag dich: Wann in meiner Vergangenheit habe ich etwas Ähnliches erlebt? An was erinnert mich das? Schreib es dir auf, um den Prozess weiter zu verlangsamen.

Futuristische Erinnerungen

Diese Gedanken sind oft keine bloßen Fantasien, sondern sogenannte „futuristische Erinnerungen“. Das bedeutet: Es sind Erinnerungen an vergangene Zurückweisung, die wir auf ein mögliches zukünftiges Ereignis projizieren.

Unser Gehirn schützt uns auf diese Weise vor erneutem Schmerz. Doch das Ergebnis ist, dass wir oft nicht herausfinden, ob Paul oder Bettina sich vielleicht wirklich freuen würden.

Der Ursprung liegt oft in der Kindheit

Diese Muster entstehen meist nicht durch ein einzelnes Ereignis, sondern durch wiederholte Erfahrungen – häufig bereits in der frühen Kindheit.

Wenn z. B. ein kleines Kind voller Freude seiner Bezugsperson entgegenläuft – doch diese ist gerade gestresst, abwesend oder überfordert –, kann das Kind diese Zurückweisung nicht verstehen. Es spürt nur: Ich werde nicht empfangen.

Und wenn das mehrfach geschieht, entsteht Vorsicht. Es beginnt, in die Zukunft zu projizieren: „Vielleicht freut sich Mama wieder nicht.“ Und genau diese frühe Strategie leben wir später weiter, oft ohne es zu bemerken.

Alte Strategien in neuen Situationen

Selbst wenn unser Gegenüber heute wirklich ehrlich und offen ist – etwa sagt: „Heute klappt es nicht, aber nächste Woche gern“ – bleibt die alte Stimme in uns aktiv: „Der meint das doch nicht ernst.“ Oder: „Die wird eh absagen.“

So verzerren wir den Kontakt im Hier und Jetzt. Und wenn wir uns dann doch treffen, liegt ein Schatten über der Begegnung. Der andere spürt das – und zieht sich möglicherweise zurück. Damit bestätigt sich unbewusst genau das, wovor wir uns ursprünglich schützen wollten.

Übung: Beobachte dich selbst

Deshalb nochmal die Einladung: Beobachte dich selbst.

  • Stell dir vor, du willst jemanden anrufen.
  • Nimm wahr, was auftaucht: Gedanken, Bilder, Erinnerungen.
  • Schreib dir die „ausagierenden“ Gedanken auf („Der meldet sich eh nie“) und die „einagierenden“ („Ich bin nicht wichtig genug“).
  • Und dann: Wann hast du das schon mal gefühlt?

Dieser Prozess ist kein Handlungsaufruf, sondern eine Einladung zur Selbstbeobachtung. Eine Einladung zur Befreiung aus alten Mustern.

Persönliche Freiheit beginnt mit Bewusstheit

Wenn du herausfindest, dass es sich um eine futuristische Erinnerung handelt, kannst du den Impuls von der Vergangenheit trennen. Dann kannst du anrufen – einfach so. Und dann sehen, was passiert.

Vielleicht freut sich dein Gegenüber. Vielleicht entsteht etwas Schönes. Vielleicht kannst du das erste Mal wirklich willkommen sein – nicht trotz deiner Vergangenheit, sondern mit ihr und über sie hinausgewachsen.

Ich wünsche dir viel Freude beim Ausprobieren. Wenn dir dieser Podcast gefallen hat, freue ich mich über ein Like, ein paar Sternchen, einen Kommentar. Schreib mir auch gern persönlich, wenn du deine Gedanken oder Erfahrungen teilen möchtest.

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