Wer bin ich wirklich? Identität vs. Identifizierung (Podcast #11)

Ich werde heute mal anfangen einzutauchen in die wohl größte aller Fragen, die ein Mensch sich stellen kann:

Wer bin ich wirklich?

Und gleich vorweg: Ich glaube nicht, dass es EINE Antwort auf diese Frage gibt. Für mich persönlich ist es der Prozess der Suche um den es geht und je älter ich werde um so klarer wird mir, dass es ist eine lebenslange Forschungsreise ist. Eine Forschungsreise mit Höhen und Tiefen, mit Momenten der Klarheit und dann wieder mit Momenten der völligen Verwirrung und des Zweifels.

Gerade in den Zeiten von Verwirrung und Zweifel kann es hilfreich sein, auf allgemein gültige Prinzipien zurückzugreifen. Solche Prinzipien helfen ein bisschen Orientierung in das scheinbare Chaos zu bringen.

Viele der Prinzipien, die ich hier für mich selbst als hilfreich erlebt habe, hat Dr. Laurence Heller in seinem NARM-Modell so wunderbar versprachlicht. Und heute werde ich dir eines der zentralen Prinzipien ein wenig genauer vorstellen und zwar den Unterschied zwischen Identität und Identifizierung.

Denn betrachtet man die Wer-bin-ich-wirklich?-Frage vor dem Hintergrund unserer Bindungserfahrungen entdeckt man ganz neue Aspekte. Heute weiß man: kaum etwas prägt die Art wie und was wir über uns selbst denken so sehr wie unsere Bindungserfahrungen. Und hier besonders die frühkindlichen, also all das, was wir in den ersten 3 Lebensjahren erlebt haben. Das einzige was einen vergleichbar großen Einfluss hatte und hat, ist Liebe.

Je ehrlicher wir uns später im Leben selbst hinterfragen können, ob das was wir da gerade machen unserer Identität oder einer alten Identifizierung entspringt, um so leichter wird es, unser Verhalten in Richtung unseres wahren Ichs zu ändern. Um so einfacher wird es, so zu sein, wie Gott uns gemeint hat.

Also lass uns loslegen und in dieses so faszinierende Wissen eintauchen.

Begriffsklärung: Was versteht man landläufig unter Identität? Und was unter Identifizierung?

Fangen wir erst einmal mit einer wichtigen Begriffsklärung an: Was versteht man landläufig unter Identität? Und was unter Identifizierung? Ich hab dazu Chat GPT befragt und das kam dabei raus:

Laut Chat GPT bezeichnet Identität das Wesen oder die Eigenschaften, die eine Person ausmachen. Es bezieht sich auf die Summe der Merkmale, die eine Person ausmachen, einschließlich ihrer Persönlichkeit, Überzeugungen, Werte, sozialen Rollen, kulturellen Zugehörigkeiten und Erfahrungen.

Identität ist oft subjektiv und entwickelt sich im Laufe der Zeit. Sie hängt stark davon ab, wie eine Person sich selbst sieht und wie sie von anderen gesehen wird.

Identifizierung ist ein zumeist objektiver Prozess, durch den eine Person erkannt oder als spezifisch bezeichnet wird. Es geht darum, festzustellen, wer jemand ist, basierend auf bestimmten Merkmalen oder Kriterien, wie z. B. anhand eines Ausweises, eines Fingerabdrucks oder einer Passnummer.

Zusammengefasst:

  • Identität ist das, was man ist.
  • Identifizierung ist der Prozess wie man erkannt wird.

Zusammenhang mit frühkindlichen Bindungserfahrungen

Und jetzt wird es interessant. Denn betrachtet man die beiden Begriffe im Zusammenhang frühkindlichem Bindungserfahrungen wird ein ganz anderer Schuh draus. Auch wenn es auf den ersten Blick nach Wortspielereien aussieht, in der Tiefe – und da schlummert ja unser wahres Ich und wartet darauf endlich entdeckt zu werden – macht es Sinn, die Begriffe anders zu definieren.

Vor dem Hintergrund von frühkindlichen Bindungserfahrungen und hier vielleicht auch erlebtem Bindungstrauma bleibt Identität das, was eine Person definiert und ausmacht, also wer man ist … was jeden von uns einzigartig macht.

Im NARM-Modell von Dr. Laurence Heller, das ja eine Haupt-Säule meiner Arbeit bildet, bezieht sich Identifizierung nicht auf den Prozess wie man von jemand anderem erkannt wird.

Es bezieht sich auf die Art und Weise, wie Menschen sich selbst mit bestimmten Überzeugungen, Verhaltensweisen oder emotionalen Zuständen identifizieren.

Es bezieht sich darauf, dass Menschen ihre Überzeugungen, Verhaltensweisen oder emotionalen Zuständen als Teil ihrer Identität ansehen und dabei gar nicht merken, dass diese Überzeugungen, Verhaltensweisen oder emotionalen Zuständen im Ursprung Schutzmechanismen und Überlebensstrategien sind, die aus traumatischen oder stressigen Erfahrungen hervorgegangen sind.

Das was wir vielfach für unsere Identität halten, ist in Wahrheit eine Identifizierung mit unbewusst stattfindenden alte Überlebensstrategien, um unsere wahre Identität, unser wahres Selbst nach Außen zu schützen.

Noch ein bisschen anders formuliert:

Diese Überzeugungen über uns selbst sind uns zumeist nicht einmal bewusst. Wir halten sie für unsere Identität und merken dabei gar nicht, dass wir in Wahrheit mit den Schutzmechanismen, die wir in der Kindheit entwickelt haben, um mit emotionalen Schmerzen, Trauma oder Mangel an Bindung umzugehen, identifiziert sind.

Diese sogenannten Überlebensstrategien werden dann Teil dessen, wie wir uns selbst definieren.

Dann meint man, man sei halt introvertiert, könne nicht tanzen, habe kein Händchen für Zahlen, sei unsportlich, sei eher langsam im Kopf, sei perfektionistisch oder ein bisschen zwangelig oder habe schlicht kein Talent für Sprachen.

Die Identifizierung mit diesen alten Überlebensstrategien führt dann logischerweise zu einem verzerrten oder eingeschränkten Selbstbild. In meinen Einzelsitzungen untersuche ich dann mit meinen Klienten, wie diese alten Identifikationen die wahre Identität verdecken und zur Fragmentierung des wahre Selbst nach wie vor beitragen.

Das ist das, was ich am NARM-Ansatz so liebe. Denn es ist in jedem Moment zentrales Ziel, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Identifizierungen mit diesen alten, heute dysfunktionalen Überlebensmustern zu erkennen und sie schrittweise zu lösen.

Mehr Raum für ein authentischeres Selbst

Dadurch entsteht Raum für ein authentischeres Selbst, das nicht mehr von den alten Überlebensstrategien dominiert wird.

Nimm dir gerade mal einen Moment Zeit, all das wirken zu lassen.

Wie geht es dir mit dieser Differenzierung zwischen wahrer Identität und alten Identifizierungen?

Wie geht es dir mit der Vorstellung, dass die Stimme, die da tief in dir schlummert und ab und zu anmerkt: „Das bin doch nicht ich … so bin ich doch eigentlich garnicht …“ … das diese Stimme höchst wahrscheinlich recht hat?

Und wie geht es dir damit zu hören, dass man sich von diesen alten Identifizierungen lösen kann?

Ich erinnere mich gerade daran, wie es mir damals ging als ich diese Differenzierung zum ersten Mal gehört habe. Ich war innerlich irgendwo zwischen Erleichterung und Ärger. Ich war zum einen erleichtert, dass ich eben diese Stimme, die die Kröte, dass ich überempfindlich … sonderbar … körperlich nicht leistungsfähig … sein soll einfach nicht schlucken wollte … dass diese Stimme recht haben könnte. Ein Weg tat sich auf. Diesem Weg bin ich dann gefolgt. Und tue es noch heute.

Eine kleine Übung

Falls du gerade Lust bekommen hast, einen Fuß auf diesen Weg zu setzen, dann habe ich jetzt eine kleine Übung für dich. Nimm dir doch wenn du den Podcast zu Ende gehört hast ein bisschen Zeit und greif nach Papier und Stift.

Zeichne Zwei Spalten auf. Der einen gibst du die Überschrift: „Alte Identifizierungen“ und der anderen „Meine Identität“.

Schreib in die erste Spalte mindestens 5, aber nicht mehr als 7 alten Identifizierungen, also das was du über dich so glaubst auf. … Ich hab kein Talent für Sprachen … ich bin unsportlich … ich bin überempfindlich … ich kann nicht malen … ich rede zu viel … ich bin langsam … was auch immer du so über dich denkst … was man dir beigebracht hat, über dich zu denken.

Dann markiere die alten Identifizierungen, die du anders siehst … die sich in dir anders anfühlen … denen du nicht so wirklich glaubst … wo dein Bauch sagt, dass du so in Wirklichkeit nicht bist … und schreib neben diese markierten alten Identifizierungen in die „Meine Identität“-Spalte was dein Gefühl, was dein Bauch über dich sagt.

Und mach es dabei bitte so konkret wie möglich. Schreib also nicht einfach „Ich habe Talent für Sprachen“, denn das wäre zu abstrakt, zu allgemein und vor allem: zu groß.

Für Sprachen sähe das dann vielleicht so aus: „Ich habe keine Talent für Sprachen“ steht links in der „Alte Identifizierung“-Spalte und rechts daneben in der gleichen Reihe steht „Ich spreche 2 Sprachen und zwar Englisch und  Spanisch“ (oder welchen Sprachen du auch immer schon mal lernen wolltest).

Bei „Ich bin überempfindlich“ steht dann vielleicht „Ich bekomme viel von meiner Umgebung mit.“ oder „Ich reagiere sehr empfindlich darauf, wenn mich jemand ungerecht behandelt.“

Der Charme an dieser kleinen Übung ist:

Die Stimme des Zweifels in dir findet endlich mal wieder Gehör und wird nicht gleich von irgendwelchen alten Identifizierungen mundtot gemacht wird.

Du kannst z. B. dein verschüttetes „Ich will diese Sprachen sprechen können“ wieder in dir auftauchen lassen. Du kannst anfangen, dich wieder zu erinnern, dass es mal eine Zeit gab wo du neugierig auf Sprachen oder was auch immer warst …

Und so Schwarz auf Weiß fällt noch etwas auf:

Alte Identifizierungen sind fast immer global.

Unsere wahre Identität ist immer vielschichtig.

„Ich habe kein Talent für Sprachen“ verschließt die Tür zu allen Sprachen, die es auf dieser Erde gibt.

„Ich spreche 2 Sprachen“ erlaubt mir 2 Sprachen nach dem Lustprinzip rauszupicken und mich auf diese 2 zu konzentrieren. Und vielleicht entdecke ich darüber meine Freude am Sprachenlernen … vielleicht weil ich die Birkenbihl-Methode kennengelernt habe … und irgendwann spreche ich dann vielleicht sogar 5 Sprachen. Oder ich entdecke auf dem Weg, dass es mir reicht, wenn ich diese 2 Sprachen spreche …

Alte Identifizierungen ersticken all diese Offenheit und Neugier gleich mal im Keim durchs verallgemeinern. Und daher ist es so wichtig, hier zum einen wieder zu lernen zu zweifeln. Und zum anderen wieder zu lernen, mehr zu differenzieren.

Denn ich z. B. spreche sehr gut Englisch und möchte Spanisch und Italienisch lernen, da ich den Klang der beiden Sprachen mag. Die arabischen Sprachen reizen mich aktuell nicht und auch mit Portugiesisch tu ich mich schwer. Und es gibt Sportarten, die will ich gar nicht lernen oder ausüben. Downhill Fahrradfahren z. B., wohingegen Triathlon mich schon reizt.

Lass deine kleine Liste ein bisschen auf dich wirken und schau mal, wie es dir mit dieser vielleicht ein bisschen ungewohnten Differenzierung zwischen Identität und Identifizierung so geht. Und schreib gerne in die Kommentare, was du dabei entdeckst. Wie die Profiastrologin Silke Schäfer immer gerne wieder sagt: Teilen ist heilen. Denn zu lesen, dass es anderen ganz ähnlich geht wie einem selbst, hilft, aus der Enge des eigenen Kopfes mehr und mehr auszusteigen.  

Ich werde immer mal wieder die Wer-bin-ich-wirklich-Frage aufgreifen und bindungsdynamisch beleuchten. Hier gibt es noch so viele Aspekte, die ich persönlich als so erhellend erlebt habe, dass ich sie mit dir teilen möchte. Und vielleicht können wir so gemeinsam Licht in ein paar noch unentdeckte Facetten deines wahren Selbst bringen.

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