Top-down und Bottom-up. Wenn der Kopf versucht den Bauch zu verstehen (Podcast #10)

Wie in Podcast Nr. 9 angekündigt, tauche ich heute ein bisschen tiefer in das Thema des Informationsflusses in unserem Körper von Oben nach Unten, auch top down genannt und von Unten nach Oben, auch Bottom up genannt, ein.

Was ist damit gemeint?

Der Begriff Top-Down bezieht sich darauf, wie kognitive Strukturen des Gehirns, also das, was wir landläufig als unseren Verstand … unsere Gedanken … bezeichnen, sich auf die emotionalen und instinktiven Systeme des Körpers auswirken. Also auf all das unterhalb der Kinnlade.

Und der Begriff Bottom-up bezeichnet, wie sich unsere Emotionen und Körperempfindungen auf unser Denken auswirkt.

Warum ist das so wichtig und warum hebe ich das so hervor?

Weil wir die meiste Zeit wenig bis gar nichts von diesem Informationsfluss bewusst mitbekommen. Und wenn, dann nur kurz um es dann … meistens … gleich wieder wegzudrücken. Oder wir bekommen erst was mit, wenn wir in einer Art Teufelskreis aus Gedanken, Emotionen und Empfindungen wie feststecken.

Bevor ich hier jetzt zu theoretisch werde, nutze ich ein Beispiel, dass ich gerade selbst erlebt habe.

Top down und Bottom up anhand von einem Beispiel erklärt

Ich bin seit vielen Jahren Mitglied der Akademie für Potentialentfaltung von Gerald Hüther. Bei unserem letzten überregionalen Treffen in Göttingen haben sich Regionalakademien angefangen zu bilden und für mich war klar: ich bringe mich in der Regionalakademie Bayern aktiv mit ein. Gesagt getan und es hat sich in den letzten Monaten eine tolle Gruppe gebildet. Am kommenden Wochenende treffen wir Acht uns für ein gemeinsames Arbeitswochenende.

Da mein Camper aktuell immer noch in Norddeutschland steht, kann ich nicht in meinem mobilen Zuhause übernachten, sondern muss das Übernachtungsangebot vor Ort in Anspruch nehmen.

Es gibt 3 Schlafplätze und einer davon ist im Wohnzimmer auf dem Sofa. Anfang war ich tiefenentspannt damit. So noch aus der Ruhe meines Campers heraus habe ich vorgeschlagen auszulosen, wer wo schläft. Und war sehr fein damit, es dem Schicksal zu überlassen.

Nur bin ich mittlerweile seit fast 2 Wochen wieder Zuhause … hatte in der Zwischenzeit eine größere Veranstaltung mit vielen mir unbekannten Menschen … flitze von einem Termin zum nächsten … habe meine Praxis in Augsburg aufgelöst … und versuche Zuhause ein bisschen klar Schiff zu machen.

Und habe gemerkt: Der Gedanke daran vielleicht auf dem Wohnzimmersofa schlafen zu müssen, stresst mich jetzt.

Noch vor 2 Wochen war die Info, die von Unten kam: Daumen hoch … alles gut … kein Problem.

Jetzt ist die Info von Unten: Stress … Überforderung … verbunden mit Fluchtimpulsen.

Bevor ich gleich dazu komme, warum das so ist und was das mit Trauma zu tun hat … nimm dir gerade mal einen Moment Zeit und horch kurz auf deinen inneren Dialog wenn das hörst. … wenn du hörst, dass mir alleine die Vorstellung vielleicht auf diesem Wohnzimmersofa schlafen zu müssen, Stress macht.

Was passiert da in DIR? Von Unten nach Oben? Aber vor allem von Oben nach Unten?

Kennst du so etwas von dir selber? Wenn Ja, wie gehst du in solchen Momenten mit dir um?

Und was sagt dein Verstand dazu?

Welche Meinung hat er? Und wenn er eine Meinung hat, welche Qualität hat die? Ist sie verständnisvoll und wertschätzend? Oder eher kritisch und geht in die Richtung „Was stellt die sich denn so an?“

Früher kam meine Top down-Ansage deutlich aus der Rubrik „Stell dich nicht schon wieder so an!“ Früher war ich genervt von mir selber, war wütend auf meinen blöden Körper, der schon wieder rumzickt … mich einschränkt und das Schlimmste daran: er gab einfach keine Ruhe! Ganz im Gegenteil. Je länger ich Oben darüber nachdachte und je mehr ich versuchte meinen Körper zur Ordnung zu rufen, um so schlimmer wurde es Unten. Und um so schlimmer es Unten wurde um so härter wurden meine Gedanken.

Ein Teufelskreis war dann in vollem Gange und damals hatte ich keinen Dunst vom Schimmer einer Ahnung, wie ich hier rauskommen oder den Teufelskreis zumindest kurz unterbrechen konnte. Ich fühlte mich dem ausgeliefert.

Heute kann ich diesen Teufelskreis, der mich viele viele Jahre meines Lebens begleitet hat, nicht nur unterbrechen. Er tritt kaum noch auf. Und selbst wenn, dann nur kurz.

Wie ist mir das gelungen?

Gleich vorweg: das ging nicht über Nacht. Und es war auch nicht mit einer Sitzung bei meiner damaligen Therapeutin getan. Einen Quickfix gibt es hier nicht. Das Zauberwort heißt hier vielmehr … Resilienz … Oder korrekter ausgedrückt: mehr Resilienz. Und das braucht Zeit.

Ähnlich wie jeder Muskel in unserem Körper braucht auch der Resilienzmuskel unseres Nervensystems Training um gesund wachsen zu können.

Und wie sieht so ein Resilienzmuskeltraining dann aus? Und was hat das mit Top down und Bottom up zu tun?

Am Anfang steht auch hier Achtsamkeit und Bewusstheit.

Verbunden mit der Begleitung durch einen Lotsen, der hilft, diese in Bruchteilen von Sekunden ablaufen Prozesse zu moderieren.

Was meine ich damit?

Früher habe ich den Prozess in meinem Körper nicht mitbekommen. Erst das Ergebnis.

Also den Stress … ich war dann von mir selbst genervt … dadurch stieg der Stress … und ich wusste mir nicht anders zu helfen, als mich abzulenken. Nach einer Weile wurde es dann zwar wieder ruhiger in meinem Körper, aber sobald ich wieder an den Auslöser dachte, ging der Spuck von vorne los.

Also wieder ablenken und wenn es dann soweit war, ich also nicht mehr ausweichen konnte, blieb mir nur: Zähne zusammenbeißen und Witzchen machen, damit niemand meinen inneren Aufruhr mitbekam. Ich machte einen auf souverän und tat so, als ob es mir natürlich nichts ausmacht auf dem Sofa zu schlafen. Ganz im Gegenteil: früher hätte ich mich sogar fürs Sofa gemeldet und hätte dafür vielleicht Anerkennung bekommen.

Schambasierte Identifizierung und Stolzbasierte Gegenidentifizierung

Das nennt man dann übrigens das Wechselspiel der Schambasierten Identifizierung und der Stolzbasierten Gegenidentifizierung.

Schambasiert war: es darf niemand sehen, dass ich innerlich kurz vor dem Ausflippen bin bei der Vorstellung auf diesem Wohnzimmersofa schlafen zu müssen.

Stolzbasiert war: natürlich habe ich das im Griff, natürlich macht mir das nichts aus. Sehr her, ich melde mich sogar noch freiwillig damit welche, die das nicht so gut im Griff haben wie ich, im Zimmer mit Tür schlafen können.

Zu unseren Schambasierten Identifizierung und den Stolzbasierten Gegenidentifizierung mehr im nächsten Podcast. Denn auch das ist eines der vielen Themen, die uns in jedem Moment begleiten … und derer wir uns nicht bewusst sind.

Durchatmen

Ich muss gerade selber kurz tief durchatmen und mich ein bisschen schütteln, wenn ich mein altes Muster hier gerade versprachliche.

Es ist im Rückblick einfach krass, wie ich damals innerlich mit mir umgegangen bin. Innerlich mit mir umgehen musste, denn ich hatte keinerlei Ahnung das es überhaupt anders gehen könnte, geschweige denn wie. Das habe ich erst durch die Neuroaffektive Arbeit erst verstanden und dann mehr und mehr gelernt.

Heute bekomme ich viel früher meinen inneren Prozess mit. Heute bekomme ich mit, dass mein Nervensystem durch die vielen Erlebnisse und Ereignisse der letzten Tage nicht mehr so resilient ist. Heute kann ich die Infos die mein Körper nach Oben sendet wahrnehmen und kann sie ernst nehmen. Heute bekomme ich mit, dass es nicht um das Sofa geht, sonders dass das nur ein Symptom ist. Heute bekomme ich mit, dass der Ursprung ganz woanders liegt. Und heute sorge ich für mich.

Also habe ich eine E-Mail geschrieben und mein Bedürfnis nach einem Zimmer mit Tür geäußert.

Die nächste Runde Top down und Bottom up

Und jetzt kommt wieder die Top down und Bottom up-Dynamik ins Spiel. Denn die ging hier gleich mal in die nächste Runde.

Ich habe meinen Stress wahrgenommen und ernst genommen. Also ich mit mir … in mir … alles gut. Als ich dann aber anfing zu überlegen, wie ich damit nun umgehe, tauchte eine neue Schicht von Stress auf:

Wie bringe ich mein Bedürfnis nun in Kontakt? Wie und wann sage ich es den anderen? Was werden die dann von mir denken?

Und … Schwups … klopfte der nächste mir sehr vertraute Teufelskreis an.

Hier sind wir dann mitten in alten Traumadynamiken.

Meine … nennen wir es mal … Empfindlichkeit … manche würden es sicherlich als Überempfindlichkeit bezeichnen … also meine aktuell geringere Resilienz, die den ersten Teufelskreis ausgelöst hat, ist eine Langzeitfolge meines erlebten pränatal Traumas. Das ist mir heute bewusst und mittlerweile habe ich hier Mittel und Wege gut … und ich meine wirklich gut … mit mir umzugehen.

Mein daran anschließender Stress, ausgelöst durch das in Kontakt bringen wollen, hat seinen Ursprung in alten unguten Bindungserfahrungen. Ein Bedürfnis zu äußern, vor allem wenn es auf einer Überforderung basiert, war einfach keine gute Idee. Das war ein Zeichen von Schwäche – und Schwäche mochte man bei mir zu Hause nicht.

Also habe ich mir damals eine Stolzbasierte Identifizierung erschaffen müssen… habe lernen müssen … stark und souverän zu sein und habe lernen müssen, dafür zu sorgen, dass im Außen niemand mitbekommt, wie es im Innen aussieht.

Dank der Neuroaffektiven Traumatherapie habe ich viel davon mittlerweile wieder verlernt.

Heute kann ich meine Bottom Up-Infos erst wahr- und dann ernst nehmen. Ich habe gelernt, mir dafür Zeit zu nehmen und erst einmal zu erforschen, was denn gerade überhaupt los ist … was mich gerade so stresst. Ich habe gelernt, mich wie zu mir mir selbst zu setzen … mit mir in diesem Stress und Chaos zu sein … und so rauszufinden, was wirklich los ist.

Sich selbst ein Gegenüber sein

Ich habe gelernt, mir selber einen Gegenüber zu sein, dass es in meiner Kindheit so nicht gab. Und das ich damals gebraucht hätte.

Und ich habe gelernt, all das dann auf eine gute Art in Kontakt zu bringen. Denn durch das mir Zeit geben, durch das forschen, durch das mich selbst ernst nehmen … kann ich heute aus einem verbundenen Ich heraus mein Bedürfnis benennen.

Ich muss es nicht in Wortgebilden verstecken … muss nicht um den heißen Brei herum reden in der Hoffnung, der andere kommt von selber draus … um dann enttäuscht zu sein, wenn das nicht passiert.

Und so habe ich es dann formuliert und in die Runde geschickt:

„Ich habe am Wochenende beim Symposium gemerkt, wie sehr mein System eine Tür zum hinter mir zumachen braucht wenn ich unter vielen Menschen und in intensiven Themen bin. Daher hätte ich gerne ein eigenes Zimmer mit Tür. Sollte es uns Drei allen gleich gehen, losen wir selbstverständlich.“

Spannend ist, was derjenige bei dem wir übernachten geantwortet hat:

„Wer unser Angebot nicht so wahrnehmen möchte, im Ort gibt es sehr akzeptable Übernachtungsmöglichkeiten.“

Lass das gerade mal auf dich wirken. Was passiert in dir, wenn du diese Antwort hörst.

Und wieder eine Top down- und Bottom up-Kaskade

Bei mir ging gleich wieder eine Top down und Bottom up Kaskade los.

Und auch jetzt kreist es in meinem System munter von Oben nach Unten und von Unten nach Oben.

… Darf ich das erzählen … was wenn er den Podcast hört … ist das nicht viel zu persönlich … als Traumatherapeutin, die eine Trauma-Schule hat müsste ich schon viel weiter sein … was denkst du gerade über mich? … wenn du überhaupt bis hier hin gehört hast …

Und das was es da Oben so vor sich hin denkt, beeinflusst wie sich mein Körper anfühlt. Und wie der dann drauf reagiert, beeinflusst, was es dann da Oben denkt.

All das passiert dauernd. Und wir können es nicht verhindern. Denn das ist Teil unserer menschlichen Natur und gehört zum Menschsein einfach dazu.

Daher ist es gut, sich hier selber mehr und mehr selber auf die Schliche zu kommen und die alten durch Trauma verklebten Muster zu lösen und im eigenen Denken und Handeln wieder frei zu werden.

Ich für meinen Teil habe seine Antwort zur Kenntnis genommen und werde morgen hin fahren. Zwar leicht angespannt, aber ohne Groll und ohne Scham … Ich bin wie ich bin und das ist gerade mein Bedürfnis. Wie wir als Gruppe das dann lösen? … Schaun wir mal. Und wenn mir das Los dann doch das Sofa zuspielt … nun … dann nehme ich diese Steilvorlage und beobachte, was nun Top down und Bottom up passiert.

Ich werde berichten, wie es weiter gegangen ist.  

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