Heute mag ich dir erzählen, warum ich der Meinung bin, dass wir alle dringend mehr Traumawissen brauchen und was das mit dem Thema Künstliche Intelligenz zu tun hat.
Nunmehr 15 Jahren in der Neuroaffektiven Traumawelt haben mich gelehrt, dass Traumawissen so viel mehr ist als nur zu wissen was ein Trauma ist, welche Folgen es haben kann, ob man eins hat und wie man die wieder los werden kann.
Alleine schon die im Körper ablaufenden Prozesse rein kognitiv zu verstehen, bedeutet unsere menschliche Natur besser zu verstehen. Es bedeutet zu verstehen, wie wir so ticken wie wir ticken und warum wir manchmal so und manchmal anders ticken.
Vor allem aber hilft Traumawissen, wieder den Weg nach Hause zu finden. Und hierfür im ersten Schritt, den Weg zurück nach Hause in unseren Körper.
Nach Hause in den Körper?
Solltest du dich gerade fragen, was das denn jetzt für ein esoterischer Quatsch ist, kann ich dich beruhigen:
Keine Esoterik. Vielmehr Neurobiologie und Hirnforschung.
Und darum liebe ich den Neuroaffektiven Ansatz ja auch so. Man muss nicht daran glauben. Man kann ihn messen. Und in Hirnscans sehen.
Was also meine ich dann damit?
Trauma ist immer körperlich, es findet immer im Körper statt. Denn selbst wenn unser Körper dabei äußerlich unversehrt bleibt, spüren wir Emotionen wie Angst oder Scham sehr deutlich und sehr unangenehm im Körper.
Und so haben wir vielfach keine andere Chance als unser Körper zu verlassen. Oder anders ausgedrückt: Wir dissoziieren, um das Unerträgliche zu ertragen.
So fürsorglich die Natur war, uns diese Fähigkeit mit auf den Weg zu geben, so tricky kann es sein, wieder aus der Dissoziation zurückzukommen.
Denn je nachdem wie oft wir dissoziieren mussten, um den gegenwärtigen Moment irgendwie zu ertragen, um so schwieriger wird es mit der Zeit wieder den Weg zurück in unseren Körper zu finden. Dann wird die Dissoziation zum Normalzustand – und wir merken es dann nicht einmal mehr. Wir haben ja dissoziiert.
Studie mit Amöben
Um diese Dynamik zu verdeutlichen, mag ich dir von einer Studie mit Amöben erzählen.
Die Forscher haben im Rahmen dieser Studie Amöben mit einer Nadel angepitcht also angestochen. Diese angepitchte Amöbe hat sich zurückgezogen. Nach einer Weile, als sich diese Amöbe irgendwie wie sicher wieder fühlte, hat die Amöbe wieder aufgemacht. Die Forscher haben dieser Amöbe dann ein bisschen Zeit gegeben und haben sie wieder mit der Nadel angepitcht. Die Amöbe hat sich wieder zurückgezogen und diesmal konnten dann die Forscher beobachten, dass die Zeitspanne bis die Amöbe sich wieder geöffnet hat, also sich wieder entspannt hat, deutlich länger war als beim ersten Mal.
Dieses Setting haben die Forscher in mehreren Schleifen, Ausprägungen, Ausführungen wiederholt und dabei festgestellt, dass je öfter sie diese Amöbe angepitcht haben, umso länger hat es gedauert bis sie sich wieder geöffnet hat. Und irgendwann hat sie sich gar nicht mehr geöffnet.
Ähnlich wie diese Amöben ziehen auch wir uns jedes Mal zurück, wenn uns jemand verletzt. Und hier spielt es keine Rolle, ob wir körperlich oder seelisch verletzt werden. Mit jeder weiteren Verletzung ziehen wir uns ein bisschen weiter zurück … passen uns ein bisschen mehr an … dauert es länger, bis wir wieder aufmachen …
Denn es fühlt sich dann besser an.
Nicht gut. Aber immerhin besser.
Die Anpassungen werden dann mit der Zeit mehr und mehr ein Teil von uns. Und irgendwann wird das dann zu unserer Identifizierung: irgendwann meinen wir dann, wir wären halt so.
Wir meinen wir wären halt … introvertiert … oder nicht so spontan wie andere … oder eben ein bisschen langsam … oder hätten kein Talent für z. B. Sprachen … oder Sport … oder Kunst … oder Musik …
Wir meinen, es sei besser, unsere Meinung erst einmal für uns zu behalten … im Meeting erst mal alle anderen was sagen zu lassen … wenn überhaupt hinterher zu grummeln … oder uns für andere aufopfern.
Und wir reden uns ein, dass wir uns wohlfühlen in der Rolle des stillen Beobachters und sind vielleicht sogar ein bisschen stolz auf unsere Fähigkeit zu so viel Anpassung und Diplomatie.
Vielleicht ist das Pendel auch in die andere Richtung ausgeschlagen und wir sind eher die Hans Dampf in allen Gassen. … schnell … forsch … laut. Tritt uns jemand auf die Füße, gehen wir gleich hoch … Angriff ist die beste Verteidigung, heißt die Devise und an diesem Ende vom Spektrum sind wir dann stolz darauf, dass uns niemand unterbuttern kann.
Alte Identifizierung vs. wahre Identität
Nur auch das ist eine alte Identifizierung und hat mit unserer Identität, also dem wer wir wirklich sind, nichts zu tun.
Ich schalte nochmal kurz meinen spirituellen Modus ein, denn dann kann ich es am besten in Worte fassen:
So hat Gott oder das Göttliche … oder wie auch immer du es in deinen Worten nennen würdest … uns nicht gemeint.
So hat die Welt uns erzogen. So wurden wir gemacht. Aber so sind sind wir nicht gemeint.
So, Modus wieder aus …
Diese Unterscheidung zwischen alter Identifizierung und wahrer Identität ist so wichtig und hier kommt das Traumawissen ins Spiel:
Zu verstehen, WIE weise und clever diese Anpassungsprozesse im Kern sind … zu verstehen, dass sie mit alten Bindungsdramen zu haben und damals dem Schutz der Bindungsbeziehung gedient haben, … hilft dabei, sich heute von diesen alten Identifizierungen zu lösen und sich freier auf die Suche nach der eigenen Identität … dem Ich … dem wahren Selbst zu machen.
Da beginnt dann pure Potentialentfaltung!
Was dabei leider viele nur gerne ausblenden: Wer sein Potential entfalten will, muss erst einmal zurück in den Körper. Ohne den geht’s nicht. Dafür braucht es erst einmal den Mut, wieder lernen zu fühlen was man fühlt – und dem wieder lernen zu vertrauen.
Ohne diesen Schritt zurück in den Körper bringen wir langfristig unsere PS im wahrsten Sinne des Wortes nicht auf die Straße. Ohne den ist es schwer, zu manifestieren.
Um den Weg zurück in den Körper wieder zu finden, macht es Sinn, im ersten Schritt die Dynamiken von Trauma erst einmal überhaupt zu verstehen. Um dadurch das bisher so Gewohnte hinterfragen zu können.
Denn das, was da so alles in unserem Körper in jedem Moment abläuft oder was wir so vor uns hin denken, ist alles kein Zufall … oder Willkür … oder eine Laune des bösen, bösen Schicksals … oder gar Schuld von irgendwem.
Es ist in weiten Stücken Neurobiologie. Und die kann man nachvollziehen und verstehen. Und alleine das nimmt dem Traumathema viel von seinem Schrecken.
Verstehen schafft Orientierung
Die zugrunde liegenden Prinzipien, Abläufe und Dynamiken erst einmal kognitiv zu verstehen, schafft Orientierung. Und damit die Grundlage von der aus man dann mutig sein kann um die bisher fest verschlossene Tür zu verdrängten Emotionen und Empfindungen langsam und behutsam wieder zu öffnen.
Und gerade unsere Emotionen und Empfindungen sind es, die uns Menschen einmalig machen … die uns menschlich machen.
Genau diese Emotionen und Empfindungen – gerade mal kurz ein bisschen in die Zukunft geschaut –, sind unser Alleinstellungsmerkmal gegenüber jeder Form der Künstlichen Intelligenz.
Unser Alleinstellungsmerkmal gegenüber jeder Form der Künstlichen Intelligenz
Im physischen Körper Emotionen und Empfindungen in all ihrer Vielschichtigkeit und Tiefe wahrlich erleben zu können … authentisch auf die Emotionen und Empfindungen des Gegenübers angemessen reagieren zu können … für das Gegenüber spürbar mitschwingen zu können … all das sind Fähigkeiten, die wir in der Zukunft brauchen werden.
Und daher bin ich mir so sicher, dass wir alle dringend mehr Traumawissen brauchen.